Geishas erfüllen Träume mit Leben. Sie gehören einer romantischen Welt an, geschaffen einzig und allein zur Unterhaltung von Männern. Wer aber sind diese Ikonen der Weiblichkeit, die es sich zur Aufgabe machen, solch eine Traumwelt zu erschaffen?
Da mich diese fernöstliche Tradition fasziniert, habe ich beschlossen, Euch in die Geisha-Welt zu entführen und mit möglichen Vorurteilen aufzuräumen. Nach einigen gelesenen Büchern, kann ich nur sagen, dass es sich lohnt, einen Blick hinter die perfekt geschminkten Gesichter dieser Frauen zu wagen.
Die ganzen Zusammenfassungen sind dem Buch Geishas "Von der Kunst einen Kimono zu binden" entnommen, geschrieben von Lesley Downer.
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Zuerst einige Wörter Übersetzungen, die in der Zusammenfassung häufig vorkommen:
- danna - Herr, im Gespräch "Ihr Gatte", männlicher Gast oder Patron einer Geisha oder tayu
- gei.ko - Kind der Kunst, wird in Kyoto und einigen anderen Städten anstelle des Begriffs Geisha gebraucht
- maiko - tanzendes Mädchen, angehende Geisha in Kyoto
- mizuage - die rituelle Entjungferung einer angehenden Geisha
- shamisen - dreisaitiges, dem Banjo ähnliches Instrument, das mit einem Plektrum gespielt wird
- tatami - mehrere Zentimeter dicke Reisstrohmatten von genormter Grösse, die den Boden einen japanischen Zimmers bedecken
- tayu - höchster Kurtisanenrang im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts
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Zu den Geisha-Namen
Geishas tragen wie Sumo-Ringer nur einen einzigen Namen, einen Künstlernamen ähnlich einem Pseudonym. Diese Namen unterscheiden sich deutlich von anderen japanischen Frauennamen und sind auf den ersten Blick als Künstlernamen zu erkennen. Ein solcher Name schafft überdies auch einen Bezug zur älteren Schwester der Geisha, beide Namen haben mindestens ein Element gemeinsam. In der Regel trägt in einem bestimmten Bezirk stets nur eine Person einen bestimmten Namen.
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Das Wort Geisha bedeutet wörtlich "in den Künsten Bewanderte"
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Vor mehr als 1000 Jahren, lange bevor an Geishas überhaupt zu denken war, war Kyoto Zentrum einer überaus dekadenten und promisken Kultur, die Liebe zu einer Kunstform und Schönheit zu einem Kult stilisiert hatte. Und als Jahrhundert später die ersten Freudenviertel errichtet wurden, in denen Männer sich über ihr Alltagsleben erheben und sich in ihrer Fantasie in grosse Persönlichkeiten von Adel verwandeln konnten, gestalteten Kurtisanen und Geishas diese Träume nach der romantischen Kultur der Heian-Prinzen.
Die Heian-Zeit dauerte von 794 bis 1195. Sie begann mit dem Bau einer prächtigen neuen Hauptstadt an einem höchst einladenden Ort, einem weiten von baumbestandenen Bergen und Hügeln umrahmten Tal, das ringsum von glitzernden Flüssen umgeben war. Ihr offizieller Name lautete Heiankyo, Hauptstadt des Friedens und der Ruhe. Die Dichter nannten sie die Stadt der purpurnen Berge und der kristallenen Ströme, wir kennen sie als Kyoto.
Dort wuchs eine Stadt der zinnoberroten Paläste mit von schlanken Säulen getragenen Tempeln und geräumigen strohgedeckten Häusern. Begleitet von einem Gefolge aus livrierten Vorreitern, fuhren Adlige und Prinzen im Schatten hängender Weiden in verschwenderisch gezierten Ochsenkarren die mit getrocknetem Lehm befestigten Boulevards auf und ab. Unter der Herrschaft des Kaisers und seiner Minister aus der allmächtigen Familie Fujiwara sonnte sich das Land drei Jahrhunderte lang in Frieden und Wohlstand. Für die verwöhnten Aristokraten des Heian-Hofes war dies eine Zeit nie endenden Müssiggangs, die sich mit der Pflege der Künste und des Schönen ausfüllten. Sie verbrachten ihre Nächte und Tage damit, den Mond zu betrachten, Gedichte zu schreiben und mit dem Spiel der Liebe.
In dieser seltsamen Kunstwelt lebten Frauen weitab von den Männern in einer Art Harem, in fensterlosen ungeheizten Häusern, die am Tage dämmrig, bei Nacht von Öllampen und Kerzen erhellt waren. Wenn Männer sie besuchen kamen, sassen sie verborgen hinter mit Seidenvorhängen oder anderem undurchsichtigem Behang verhüllten hölzernen Wandschirmen. Wenn sie ausgingen, reisten sie hinter den verhängten Fenstern ihrer Ochsenkarren, allerdings nicht ohne dafür zu sorgen, dass hier und da ein erlesener Seidenärmel heraushing, der auf die Schönheit im Inneren neugierig machen sollte.
Denn in der Abgeschlossenheit ihrer geheimen Welt waren die Heian-Frauen beredt, belesen und hoch gebildet.
Dies war sicher die hemmungsloseste Gesellschaft, die die Welt je gesehen hat.
Was die Heian-Zeit so aussergewöhnlich macht, ist die Art und Weise, wie Kunst und Schönheitskult mit der Liebe verflochten wurden. Denn weit mehr als sexuelles Verlangen oder herzzerreissende Leidenschaft war Liebe eine Kunstform, eine Gelegenheit, zum Pinsel zu greifen und den Augenblick in einer kleinen literarischen Kostbarkeit für alle Ewigkeit festzuhalten.
Wenn ein Aristokrat gehört hatte, dass eine Frau von besonderer Schönheit sei oder, noch aufreizender, über eine unvergleichliche Handschrift verfüge, machte er sich womöglich daran, ein waka, ein Gedicht aus einunddreissig Silben, zu verfassen und es in schönster Kalligraphie mit feinem Pinsel auf erlesen gefärbtes wohlriechendes Papier zu malen. Beim Empfang begutachtete die Dame zunächst Handschrift und Farbe des Papiers, alsdann Witz und Artigkeit des Gedichts, bevor sie sich zu einer Antwort entschloss. Der Aristokrat wiederum wartete gespannt, ob ihre Handschrift und ihr Gedicht auch tatsächlich seinen Erwartungen entsprächen.
Fiel der Gedichtaustausch zur Zufriedenheit beider aus, avisierte er ihr womöglich seinen Besuch. Dann schlich er bei Nacht in ihr Gemach und liess im Schutz der Dunkelheit seine Kleider fallen, lüpfte das seidene Laken, legte sich neben die Dame auf das harte Strohlager und vollzog ohne grössere Umstände den Beischlaf. Noch vor Tagesanbruch eilte er davon und machte sich daran, ein beredtes Gedicht über den Morgen danach zu verfassen, in dem er das Aufgehen der Sonne oder den ersten Hahnenschrei beklagte, der die Stunde des Abschieds ankündigte. Die Dame verfasste darauf ihrerseits eine Antwort. So teilten sie einander über Gedichte mit, ob sie die Beziehung fortzusetzen gedächten oder nicht.
Die berühmteste unter der Schönheiten der Heian-Zeit war Ono no Komachi, eine Hofdame am kaiserlichen Hof. Sie war so schön, so stolz und voller Leidenschaft, dass man sie bis heute in Erinnerung behalten hat. Ihr Name hat die Jahrhunderte überdauert, sie ist Japans ewige Femme fatale.
Selbst auf der Höhe der Heian-Promiskuität, als Edelleute es nicht schwer hatten, eine Gefährtin für die Nacht zu finden, und fröhlich von einem Damengemach zum nächsten schwirrten, gab es Prostituierte, die andere Arten von Vergnügen anboten. Am unteren Ende der Skala gab es die gewöhnlichen Prostituierten, die auf Strassen, im Wald und Flur umherschlenderten und die man als "wandernde Frauen", "Treibholz" oder "Spielgefährtinnen" bezeichnete. Das andere Extrem bildeten die kultivierten, hoch gebildeten Meisterinnen ihres Fachs, die wir Europäer als Kurtisanen bezeichnen würden. Manche von ihnen stammten aus guten Familien, deren Stern im Sinken begriffen war, andere fielen durch ihre Schönheit, ihre Intelligenz oder ihr Talent auf. Als versierte Musikerinnen, Tänzerinnen und Sängerinnen waren sie beim Adelsstand gern gesehene Gäste und bevorzugte Gefährtinnen. Diese hoch qualifizierten Kurtisanen waren die eigentlichen Vorläufer der Geishas.
Wären Sie zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach Kyoto gekommen, hätten Sie die Menschenmassen direkt in den wuchernden Unterhaltungsdistrikt am Kamo geschwemmt, der sich bis zu den schweren Toren des Yasaka-Schreins am Fusse der Berge im Osten erstreckte. Dieses blühende Vergnügungsviertel, gedrängt voll mit Teehäusern und Tavernen, in denen Frauen - die man ein Jahrhundert später als Geishas bezeichnete - Tee oder Sake verkauften und sie gegen ein Entgelt mit Gesang und Tanz oder - je nach Grösse ihres Geldbeutels - auch anderen Dingen unterhielten, war eine der Hauptattraktionen Kyotos.
Kyoto war die offizielle Hauptstadt des Landes und neben der geschäftigen Handelsmetropole Osaka Zentrum des Handels und der Kultur.
Auf der anderen Seite der Welt lagen die Blüte der italienischen Renaissance und die ruhmreiche Herrschaft der jungfräulichen Königin Elisabeth I. in Grossbritannien gerade hundert Jahre zurück. In Japan herrschte nach über vierhundert Jahren der Kriege und Aufstände endlich wieder ein Frieden, wie man ihn seit den glücklichen Tagen der allen Freuden zugetanen Heian-Aristokraten nicht mehr gekannt hatte. Das Land hatte sich bis zur Unkenntlichkeit verwandelt. Während die mittelalterlichen Ritter, die Samurai-Krieger, ihre blutigen Bürgerkriege austrugen, war Kyoto immer wieder niedergebrannt worden. Nun war all das vorüber. Die verschiedenen verfeindeten Staaten, aus denen Japan bestand, waren geeint und liessen den Menschen die Freiheit, ihre Aufmerksamkeit auf Wohlstand und die Kunst des Friedens zu richten. Es war der Anfang einer spektakulären japanischen Renaissance.
Der Mann, der all das mögliche gemacht hatte, war der grosse Ieyasu Tokugawa, der in der Schlacht von Sekigahara im Oktober 1600 die letzten rivalisierenden Kriegsherren besiegt und sich selbst zum Shogun und Herrscher über ganz Japan erklärt hatte.
Fest entschlossen, das Land nie wieder in einem Bürgerkrieg versinken zu lassen, machten sich die Shogune - Ieyasu und seine Nachfolger - daran, die Bevölkerung mit einem rigiden System von Regeln einzuengen.
In den nächsten zweieinhalb Jahrhunderten entwickelten die Japaner, mehr oder minder frei von äusseren Einflüssen, eine einzigartige Kultur und Lebensweise.
Wie alles andere in der durch und durch reglementierten, konfuzianischen Gesellschaft im Japan des 17. Jahrhunderts musste auch die Prostitution organisiert werden. Der beste Weg, das zu tun, bestand darin, diese zu kontrollieren, so viele Prostituierte wie möglich an einem Ort zusammenzupferchen, dort die Prostitution zu gestatten und überall sonst zu verbieten. Die Vergnügungsviertel galten, zusammen mit dem Kabuki-Theater als "schlechte Adressen".
Aber so "schlecht" sie auch sein mochten, sie erfüllten ein anerkanntes Bedürfnis. Ironischerweise verdankt sich die Geisha-Kultur, wie die gesamte Kultur der Erotik, unmittelbar den starken Restriktionen des Konfuzianismus. Die abgeschotteten Städte des Vergnügens, die sich zum Herzstück einer japanischen Gegenkultur entwickelten, wurden mit ausdrücklicher Zustimmung durch die Regierung errichtet.
Eine der dringlichsten Aufgaben des neuen Shogunats bestand darin, das Laster einzudämmen, das sich in den Jahren des Bürgerkriegs enorm entwickelt hatte. Kyoto war zu einem Zentrum der Prostitution geworden, mit Frauen, die ihre Männer verloren hatten, umherziehenden Nonnen und arbeitslosen Schreindienerinnen, die durch die Strassen zogen. Dazu gab es viele tausend Prostituierte, die Reisenden entlang der Flüssen und Strassen, in Häfen und an den Pforten der Schreine und Tempel, an denen sich die Pilger versammelten, ihre Dienste anboten. Nicht lange nachdem Ieyasu Tokugawa für Frieden gesorgt hatte, spitzte sich die Situation dramatisch zu.
Ursache all dieser Probleme war eine Frau namens Izumo no Okuni. Okuni gab vor, Schreindienerin und Schamanin des grossen Izumo-Schreins zu sein, wahrscheinlich war dies nur eine Erfindung von ihr, um geheimnisvoll zu wirken. In jedem Fall war sie eine Tänzerin von überwältigender Ausdruckskraft und damit per definitionem eine Prostituierte. In jenen Tagen war dies ein und dasselbe.
Um 1603, der Friede hatte noch kaum Zeit gehabt zu reifen, errichtete sie im trockenen Flussbett des Kamo eine Freilichtbühne und begann dort mit ihrer Truppe aus fahrenden Künstlerinnen zu tanzen. Wer sie sah, war hellauf begeistert. Nach zwei Jahrhunderten der Bürgerkriege hungerten die Menschen nach Vergnügen, Ablenkung und schönen Frauen in seidenen Kimonos. Auf Okuni und ihre Tanzkunst gründeten später die Geishas ihre unwiderstehliche Kombination aus Charme, Unterhaltung und Erotik.
Okunis Tanzkunst war nicht nur Aufsehen erregend perfekt, sondern auch von fröhlicher Erotik geprägt. Sie war so aussergewöhnlich, dass dafür sogar ein neues Wort gefunden werden musste: kabuki, abgeleitet von dem Verb kabuku, was so viel heisst wie "Spass machen" oder "wild und ausgelassen sein". Okunis erotische Tänze waren die Saat, aus der das spätere Kabuki-Theater und auch die "fliessend vergängliche Welt" der Geishas und Kurtisanen hervorgehen sollte.
Bald gab es Nachahmerinnen - Truppen aus Prostituierten und Kurtisanen, die in allen grossen Städten erotische Tänze oder Schlafzimmerclownerien aufführten. Es war reines Showgeschäft, die Schauspielerinnen waren echte Stars.
An Erotik an sich hatte niemand etwas auszusetzen, aber das Shogunat konnte nichts riskieren, was die öffentliche Ordnung gefährdete. Als die Männer anfingen, sich der Schauspielerinnen wegen zu duellieren, war es an der Zeit, dem Ganzen einen Riegel vorzuschieben. Nach einem grösseren Eklat verboten die Behörden 1628, dass Frauen in der Öffentlichkeit auftraten.
Da ihnen öffentliche Auftritte versagt waren, begannen viele Tänzerinnen - mit oder ohne Lizenz - als Prostituierte zu arbeiten. Andere nahmen eine Stellung in Samurai-Haushalten an, wo sie Privatvorführungen gaben oder sich als Lehrerinnen für Musik und Tanz bestätigten. Frauen mit einem solchen Hintergrund wurden ein Jahrhundert später als Geisha bekannt.
Japans erstes Vergnügungsviertel war noch vor Ieyasu Tokugawas grossem Sieg von 1600 eröffnet worden. Im Jahr 1589 - das Land wurde damals noch von Tokugawas Vorgänger, dem aufgeklärten Feldherrn Hideyoshi Toyotomi, regiert, dessen Burg sich in Osaka befand - hatte einer von dessen Günstlingen, Saburoemon Hara, um die Erlaubnis gebeten, ein Bordell zu eröffnen. Hideyoshi gab sie ihm, und so baute Saburoemon Hara unweit des kaiserlichen Palastes ein kleines ummauertes Viertel mit nur einem Eingangstor, das von diesem aus zu Fuss, zu Pferd oder per Sänfte bequem zu erreichen war. Er nannte es Yanagimachi ("Weidenstadt"), richtete dort Bordelle und Teehäuser ein und heuerte ein paar glanzvolle, hoch gebildete Kurtisanen an, die die Kavaliere von Kyoto verführen sollten.
Irgendetwas an den Plänen der Shogunats entwickelte sich nicht so recht nach Wunsch. Die Idee war gewesen, das Laster zu unterdrücken, die Übeltäter - Prostituierte und Kabuki-Schauspieler sowie deren Gefährten - in besondere Regionen der Hauptstadt zu verbannen, um so beide, sie und ihre verderbte Kundschaft, die neureichen Kaufleute, kontrollieren zu können. Stattdessen aber verwandelten sich die Vergnügungsviertel in Windeseile in die glanzvollsten Bezirke der Stadt. Jeder, vom Samurai bis hinauf zu den kaiserlichen Prinzen, sogar der Kaiser selbst, schlich sich dort zu heimlichen Besuchen ein.
Neben Sex, Romantik und sinnlichen Vergnügungen bot Shimabara alles, was sich ein verwöhnter Städter nur wünschen konnte: Eleganz, Kultur und intelligente Gespräche mit wunderschönen Frauen in geschmackvoller Atmosphäre.
1661 prägte ein japanischer Dichter namens Ryoi Asai ein Wort für dieses neue Lebensgefühl: ukiyo ("fliessend vergängliche Welt"), aus dem sich später der Begriff ukiyo-e ("Bilder der fliessend vergänglichen Welt") für die japanische Holzschnittkunst entwickelte, in der die Kurtisanen, Prostituierten und später die Geishas als Bewohner ebendieser Welt porträtiert wurden. Ursprünglich stammt der Begriff ukiyo aus dem Buddhismus, mit ihm wurde die Vergänglichkeit aller Dinge beschrieben. In Ryois Erzählungen gewann dieser Ausdruck eine neue Dimension. Natürlich war das Leben vergänglich, was also konnte es Besseres geben, als seine Zeit mit dem Streben nach Genuss zu verbringen, sich gemächlich vom Strom des Lebens dahin treiben zu lassen.
Für Männer war diese Welt des Genusses verdreht, auf den Kopf gestellt, in jeder Hinsicht das komplette Gegenteil zu der Welt der Arbeit und der Familie. Hier, so hiess es, vergass der Mann die Zeit, sogar seine Frau. Hier waren die ausgestossenen Kurtisanen Königinnen, und die so gering geachteten Kaufleute waren die Könige.
Für die Frauen war all das jedoch kein Traum. Es war der Ort, an dem sie lebten und arbeiteten. Doch verlassen konnten sie ihn nicht - ihre Flügel waren gestutzt. So glanzvoll sie auch daherkamen - die Bewohnerinnen der Vergnügungsviertel waren nichts anderes als Vögel in ihren Käfigen. Als kleine Kinder wurden sie dorthin gebracht und allein nach den Gesetzen und Regeln dieser Kunstwelt erzogen. Sie kannten nichts anderes. Ungeachtet all ihrer Pracht und all ihres Glanzes waren sie im Grunde Sklavinnen, ganz und gar abhängig von den Bordellbesitzern.
Fast alle von ihnen entstammten den untersten Klassen, waren die schönen Töchter verarmter Landfamilien oder verschuldeter Städter. Es gab professionelle Vermittler oder Kuppler, die zegen, die Landbezirke und ärmere Zonen der Stadt nach Kandidatinnen durchkämmten. Wenn sie ein geeignetes Kind fanden, boten sie der Familie eine bestimmte Summe. Der Handel mit Menschen war illegal, deshalb wurde das Kind durch einen Vertrag für eine feste Zeitspanne, in der Regel zehn Jahre, verpflichtet.
Es war nichts Ungewöhnliches, ein Kind in die Vergnügungsviertel zu schicken. In Asien ist dies noch heute keine Seltenheit. Abgesehen von dem bitter benötigten Geld und der Notwendigkeit, die Zahl der zu stopfenden Münder zu verringern, waren Eltern vermutlich auch davon überzeugt, dass sie ihrer Tochter damit eine reelle Chance verschafften. Nach Kyoto zu gehen, gutes Essen zu bekommen, schöne Kleider zu tragen, vornehme Menschen zu treffen und eine Ausbildung zu geniessen, verhiess ihren Töchtern weit grössere Hoffnungen für die Zukunft als das Leben auf dem Land.
Die meisten wurden im Alter von sechs oder sieben Jahren rekrutiert, so dass ihnen nur sehr verschwommene Erinnerungen an das Leben ausserhalb der Mauern des Viertels blieben. Währen die Bauern schon froh waren, wenn sie Hirse zu essen hatten, bekamen die Kinder in Shimabara weissen Reis vorgesetzt, sie trugen wunderschöne Kimonos und lernten, in der weiblichen Manier des Viertels zu gehen, zu sprechen und sich zu benehmen.
Die Kinder waren Eigentum der Bordellbesitzer. Schon bevor sie bei ihnen eintraten, hatten sie einen enormen Schuldenberg angehäuft. Da war zunächst einmal die Summe, mit der sie ihren Eltern abgekauft worden waren, für Essen und Kleidung wurde zwar vom Bordell gesorgt, doch jedes Reiskorn und jeder Ballen Seide diente nur dazu, die Schuldenlast weiter zu erhöhen. Wenn die Mädchen alt genug waren, um mit der Arbeit anzufangen, war der Schuldenberg so riesig geworden, dass ihnen keine andere Wahl blieb, als Tag und Nacht dem verzweifelten Versuch zu widmen, ihn irgendwann abzutragen.
Am Anfang arbeiteten sie als Dienstmädchen. Wenn sie älter wurden und einen viel versprechenden Eindruck machten, wurden sie schliesslich zu kamuro ("Jungzofe") einer Kurtisane. Die Kurtisane zeigte ihnen, wie sie sich zu verhalten hatten, und sorgte dafür, dass sie in Künsten wie Kalligraphie, Musik und dem Abhalten der Teezeremonie unterrichtet wurden. Eine Menge kleiner Geheimnisse war zu lernen: wie ein Mann zu verführen, wie er mit Tränen oder Beteuerungen von unsterblicher Liebe um den Finger zu wickeln ist, wie Liebesbriefe zu schreiben sind oder wie ein Mann so lange hinzuhalten ist, dass er vor Verlangen ausser sich gerät.
Das Schlüsselgebot lautete, mit der Liebe zu spielen, sich aber unter keinen Umständen selbst dieses Gefühl zu gestatten. So etwas brachte nur Unheil.
Mit dreizehn oder vierzehn, wenn das Mädchen geschlechtsreif war, wurde ein grosses Fest gefeiert, zu dem ein Ritual gehörte, das es mit zusammengebissenen Zähnen zu ertragen hatte: die mizuage, "das Herschenken oder Opfern des Wasser" - die rituelle Entjungferung durch einen Patron, der für dieses Privileg eine Menge Geld gezahlt hatte.
Ganz oben in der Hierarchie der Prostituierten und Kurtisanen standen die tayu, die Aristokratinnen der Kurtisanenwelt.
Strebte ein Mann die Gesellschaft einer tayu an, so bestand der erste Schritt darin, in eine ageya zu gehen, ein Vorläufer der späteren Teehäuser der Geisha-Viertel, und um eine Begegnung nachzusuchen. Handelte es sich um einen bekanntermassen kultivierten Mann, konnte er nach einer bestimmten tayu fragen; manche von ihnen waren derart populär, dass es Monate dauern konnte, bis in ihrem Kalender ein Tag frei war. Der Besitzer oder die Besitzerin der ageya schrieb einen Brief an das Haus, in dem die Kurtisane lebte, rollte ihn auf und übergab ihn einem Boten. Der Kunde erfreute sich, während er auf Antwort wartete, der Künste von Clowns und Tanzmädchen, die er mit Essen und Trinken zu versorgen hatte, all das erschien später auf seiner Rechnung.
Stunden später kam die tayu hereingerauscht, angetan mit den kostbarsten Kimonos und begleitet von ihrem Gefolge aus jungen Dienerinnen und Tänzerinnen, mit denen sie im Schneckentempo die Prachtstrasse entlang gezogen war. Man verbrachte den Abend mit Musik und Tanz, tauschte Gedichte aus, ergötzte sich an Tee- und Weihrauchzeremonien - gerade so als gehöre man zu den Damen und Herren am Hofe der Heian-Zeit. Sex war kein selbstverständliches Gebot. Schliesslich setzte es den Wert einer Kurtisane empfindlich herab, wenn sie zu leicht zu haben war. Der Besitzer oder die Besitzerin einer wunderschönen tayu würde alles daran setzen, den Wert der Investition zu erhöhen, indem er oder sie sie so exklusiv wie möglich vermarktete.
Wollte der Mann eine Nacht mit der Kurtisane verbringen, hatte er eine lange und sehr kostspielige Zeit der Werbung durchzustehen.
Doch so berühmt eine Kurtisane auch sein mochte, stets blieb sie Sklavin ihrer Schulden, gezwungen, ihren Zehnjahresvertrag abzuarbeiten. Im Prinzip stellte das System sicher, dass ihre Schulden immer höher wurden, egal, wie hart sie arbeitete. Denn die Kosten stiegen: für den Erwerb der prächtigen Kimonos, die sie für ihre Gewerbe benötigte, für Bettzeug und die Unterhaltung ihres Gefolges und für das Handgeld, das an das Bordellpersonal zu zahlen war. Nur drei Tage im Jahr waren arbeitsfrei. Standen die Kurtisanen, aus welchen Gründen auch immer, an einem Tag nicht zur Verfügung, so hatten sie dem Haus aus eigener Tasche die Summe zu erstatten, die sie sonst verdient hätten. Die meisten arbeiteten, bis sie siebenundzwanzig waren, dies war das normale Alter für den Rückzug aus dem Beruf. Die Erfolgreichen unter ihnen hatten bin dahin jede Menge Bewerber, die sich darum rissen, sie anschliessend zu heiraten.
Namen und Hierarchien haben sich im Lauf der Jahrhunderte geändert, doch alle sind sich einig, dass die grössten Kurtisanen aller Zeiten die tayu Shimabaras im 17. Jahrhundert gewesen sind.
Als Saburoemon Hara um die Erlaubnis nachsuchte, in der grossen Stadt Kyoto ein Bordell zu errichten, bestand Edo aus weiter nichts als ein paar Fischerhütten in einem Marschgebiet, in dem sich drei Flüsse trafen. Doch nachdem der Shogun Ieyasu es zu seiner Hauptstadt erkoren hatte, wurde es zu einer boomenden Stadt, wie sie die Welt nie zuvor gesehen hatte. Hier im rauen Norden des Landes entstand im Schatten der Burg des Shoguns ein Vergnügungsviertel, neben dem alle anderen verblassen sollten. Hier sollte die Kultur der Liebe zu höchsten Höhen, die Geisha-Kultur zur Blüte geführt werden.
Dem Beispiel Haras folgend, der Shimabara erbaut hatte, bat ein wohlhabender Bordellbesitzer namens Shoji Jinemon den Shogun um die Erlaubnis, ein offizielles Vergnügungsviertel zu errichten. Wie Shimabara wurde auch Yoshiwara gebaut, umgebaut, verlegt und durch Feuer zerstört, bevor es im Jahre 1656 in einem Riedgebiet (yoshi wara), etwa eine Anstandsstunde Weg von der Hauptstadt, endgültig errichtet wurde.
Am Ende des Jahrhunderts war es weit grösser als die anderen berühmten Freudenviertel des Landes. Die Frauen von Shimabara standen in dem Ruf, die schönsten zu sein, Shinmachi, wo die "Playboys" unter den Kaufleuten von Osaka ihr Glück suchten, hatte die prächtigsten Gebäude und Luxuseinrichtungen, die Frauen in Nagasakis Viertel Marayuma trugen die kostbarsten Kimonos, doch die Mädchen von Yoshiwara übertrumpften sie alle durch ihr hari (ihren Stil). Zur Blütezeit Yoshiwaras lebten dort mehr als 3000 Kurtisanen, allerdings standen nur wenige im Rang einer tayu.
Für die Bewohner von Edo bot Yoshiwara ein nie endendes Spektakel. Die Vergnügungsviertel bildeten zusammen mit dem Kabuki-Theater das Herz einer kulturellen - demokratisch - subversiven - Renaissance, deren Urheber, Teilnehmer und zentrales Motiv der Städter waren. Die Kurtisanen und ihre Kundschaft bildeten ein bevorzugtes Thema für Holzschnitte, Kabuki-Stücke und tayu-Biographien, die sich aus den soeben entwickelten Druckpressen ergossen. Genau wie das Leben der Reichen und Schönen in unseren Tagen waren sie Quelle endloser Faszination und stiessen auf erregte Anteilnahme.
Was immer sich in der freizügigen nächtlichen Traumwelt Yoshiwaras ereignete, war anderen Tags vergessen. Niemals berührte es die Welt ausserhalb der Mauern. Das setzte sich bei den Geishas fort. Das Geheimnisvolle ist Teil ihres Seins.
Alles war Show. Doch in jener fliessend vergänglichen Welt konnte nichts über längere Zeit unverändert bleiben. Im 18. Jahrhundert hatte die Kultur der Vergnügungsviertel über hundert Jahre Zeit gehabt zu gedeihen. Die Kurtisanen mit ihrer gestelzten Konversation und ihren zahllosen Schichten von gestärkter Kleidung schienen ein wenig überholt. Es war Zeit für etwas Neues.
Nach und nach nahm die Zahl der Frauen ab, die es wert waren, zur tayu ernannt zu werden. Sogar die Bezeichnung selbst, die einzig in Shimabara verwendet worden war, ging verloren, als sich der Brennpunkt von Kultur und Leben nach Edo verlagerte.
Die war der Zeitpunkt, an dem erstmals nicht nur in den Vergnügungsvierteln, sondern auch in der übrigen Stadt eine neue Art von Frauen auf der Bildfläche erschien: Frauen, die nicht mehr wie ein Vogel in einem Käfig gefangen waren, die sich mit geschmackvoller Untertreibung kleideten, ohne Glamour, und die nicht mehr ihren Körper verkauften, sondern ihre Kunst.
Liebe war die Währung in jener Fantasiewelt der Geishas, doch sich zu verlieben kam für eine Geisha einer Katastrophe gleich. Zumindest in der Vergangenheit war Begehren die Grundlage der Profession der Geishas.
Aber es war ein gefährliches Spiel. Mit Männern zu flirten, sich an sie zu schmiegen, ihr Begehren aufzustacheln, so dass sie wieder und wieder nach einem verlangen, aber - gleichgültig, wie intim man mit ihnen zu sein schien - niemals den Kopf verlieren und schon gar nicht sein Herz. Doch gerade die permanente Gefahr verlieh dem Spiel seinen Reiz.
Mit der Liebe zu spielen war eine Sache, sich tatsächlich zu verlieben eine andere - und in der exaltierten Welt der Geishas war diese Gefahr stets gegeben.
Es ist unmöglich zu übersehen, welch ungeheure Kluft sich auftut zwischen dem Leben das Geishas noch in der jüngeren Vergangenheit führten, und den gegenwärtigen Verhältnissen. Die Wende hatte das Jahr Showa 33 (1958) gebracht, das Jahr, in dem die Prostitution für illegal erklärt worden war. Dennoch blieb einiges von dem erhalten, was Geishas ihren besonderen Reiz verleiht.
Auch heutzutage geniessen Geishas noch immer so etwas wie einen Sonderstatus: irgendwie respektabel, aber doch nicht so ganz. Andererseits sind sie so etwas wie die Wappenwesen von Kyoto.
Leute, die sich ein bisschen in der Geisha-Welt auskennen, beschreiben stolz deren Bräuche und brüsten sich mit Geishas in ihrem Bekanntenkreis.
Es ist unmöglich, den dramatischen Rückgang der Anzahl von Geishas zu übersehen. Ältere Leute - Geishas und Ladenbesitzer - erinnern sich noch der Tage, als von nördlich der vierten Brücke bis hinunter zur fünften Brücke das gesamte Gebiet zwischen Kamo und den Hügeln im Osten eine ganz eigene Welt gewesen war. Jedes Gebäude war Tee- oder Geisha-Haus, jeder Laden hatte im Dienst der Geisha-Gemeinde gestanden. In den 20er-Jahren, zur Blütezeit der Geisha-Kultur, hatte es im Land 80'000 Geishas gegeben. Allein in Gion waren es 2500 Geishas und 106 Maikos.
Als die Teehäuser nach dem Krieg, etwa um 1948, wieder öffneten, gab es in Kyoto noch immer 1200 Geishas und 160 Maikos. In jenen Tagen war die Welt der Blumen und Weiden ein blühender Industriezweig, in dem nach strengen Regeln gelebt wurde, Geishas von früh bis spät auf ihren Holzpantinen von einem Teehaus zum anderen klapperten, um den Teehausmüttern ihre Referenz zu erweisen und so manches Mal vom Morgen des einen Tages bis in die frühen Morgenstunden des nächsten, Leute zu unterhalten. 1999 aber waren es nur noch 195 Geishas und 55 Maikos, davon lebten 22 Maikos und 90 Geishas in Gion.
Vor dem Krieg stammten die meisten Maikos in Kyoto selbst aus Geisha-Familien; ihre Mütter, Grossmütter, manchmal sogar ihre Urgrossmütter waren ebenfalls Geishas gewesen. Die Mädchen vom Lande standen auf der untersten Stufe der Leiter. Heutzutage aber wollen viele Töchter von Geishas eine andere Laufbahn einschlagen, einen "normalen" Mann heiraten, ein "normales" Leben führen.
Moderne Maikos stammen folglich meist nicht aus Kyoto, und selbst wenn sie von dort sind, so doch nicht unbedingt aus einer Familie mit Geisha-Vergangenheit. Das wichtigste Kriterium ist Schönheit, wie bei einer Karriere als Model gilt auch hier der soziale Hintergrund nichts, ein schönes Gesicht hingegen alles. Ausserdem müssen die Mädchen fit und gesund sein, denn zu Maiko-Ausbildung gehören harte Arbeit und lange Tage. Der grösste Unterschied zu ihren Vorgängerinnen aber besteht darin, dass sie alle freiwillig Maikos geworden sind. Manche hatten Maikos im Fernsehen oder auf einer Klassenfahrt gesehen und waren von diesen märchenhaften Gestalten völlig hingerissen. Andere hatten eine traditionelle japanische Tanzausbildung hinter sich und wollten tiefer in diese Kunst eindringen. In den meisten Fällen waren die Eltern über dieses Ansinnen hell entsetzt gewesen, aber die Mädchen wollte so verzweifelt gern Maikos werden, dass sie letztlich doch die Einwilligung erhielten. Es war die genaue Umkehrung der vergangenen schrecklichen Zeit, in der Kinder von ihren Eltern aus verzweifelter Armut verkauft wurden.
Fragt man die alten Damen der Geisha-Gemeinde, so hatte all dies ein empörendes Absinken des Niveaus zur Folge. Vor dem Krieg begannen die Töchter von Geishas ihre Ausbildung im Alter von sechs Jahren, sechs Monaten und sechs Tagen. Damals war eine Geisha ein seriöser angesehener Beruf, und die Kinder fingen genauso jung an wie die Eleven des Bolschoi-Ballets. Moderne Maikos beginnen ihr Training erst mit vierzehn oder fünfzehn - bis dahin haben sie so viel so genannte Bildung genossen, dass sie, statt, wie es erwartet wird, brav zuzuhören und alles wieder und wieder zu repetieren, dazu neigen, jede Anweisung in Frage zu stellen.
Die meisten Dinge in der Geisha-Welt geschehen hinter verschlossenen Türen. Hin und wieder können sie vielleicht eine Geisha oder Maiko auf der Strasse sehen, wie sie von Teehaus zu Teehaus huscht, oder, falls sie Gast von jemand sehr Wohlhabendem sind, sie auf einer Gesellschaft treffen. Doch sie sehen stets nur das offizielle Gesicht, makellos geschminkt, ewig unbeweglich und anmutig. Das Privatleben einer Geisha bleibt vor Aussenstehenden ganz und gar verborgen.
Das Instrument, an dem man eine Geisha - männlich oder weiblich erkennen konnte, war das Shamisen. Ein dreisaitiges lautenähnliches Instrument, das Mitte des 16. Jahrhunderts aus dem tropischen Königreich Okinawa eingeführt wurde. Sein Körper besteht aus Sandel-, Maulbeer- oder Quittenholz. Es wird mit einem grossen Plektron aus Holz oder Elfenbein gespielt und erzeugt einen melancholischen Klang, der sich wunderbar für die Begleitung trauriger Liebeslieder eignet. Das Shamisen avancierte zu dem Instrument der Vergnügungsviertel; man sagt, sein Klang vermöge erotisches Verlangen heraufzubeschwören, das vorher nicht bestanden habe.
Ursprünglich unterhielten auch die Kurtisanen ihre Freier mit dem Shamisen-Spiel. Doch nach einer Weile war diese Kunst so verbreitet, dass die Eliten sie den niederen Rängen überliessen. Statt ihre Kundschaft mit Gesang und Tanz zu unterhalten, hielten die Spitzenkurtisanen in prachtvollen Gewändern Hof, umgeben von ihrem Gefolge aus kindlichen Bediensteten und jungen Kurtisanen.
Es war von Anfang an ein hoffnungsloses Unterfangen, das Vergnügen auf bestimmte Viertel beschränken zu wollen. Junge Charmeure fanden jede Menge andere Orte ausserhalb der Vergnügungsviertel, wo sie mit ihren pompös gekleideten Kurtisanen einen Abend mit geistreicher Plauderei geniessen konnten, der mit etwas Glück vielleicht im Sex gipfelte. Besonders en vogue war zu jener Zeit Kyotos schillerndes Viertel Gion, das rasch für seine Geishas berühmt wurde.
Gion war nicht von Mauern umgeben, es war auch nicht offiziell genehmigt. Anders als Shimabara und Yoshiwara war es kein Ergebnis einer behördlichen Entscheidung, mit deren Hilfe die Prostitution an einem Ort zusammengefasst werden sollte, sondern war auf der Basis des Marktes entstanden: ein Angebot zur Befriedigung bestehender Nachfrage - und das machte es umso anregender.
Gion wurde um den Yasaka-Schrein herum errichtet. Einer lokalen Gottheit gewidmet, die insbesondere für die Baumwollhändler von Bedeutung war, galt dieser Tempel als der berühmteste im ganzen Land.
Gemälde aus jener Zeit zeigen einen ausladenden Komplex aus grossen und kleinen Schreingebäuden mit erlesen verzierten, zinnoberroten Säulen, auf denen geschwungene, mit Zypressenschindeln bedeckte Dächer ruhten, dahinter eine niedrige Pagode. Besucher trafen zu Fuss oder per Sänfte ein, durchquerten die ungeheuren torii, die riesigen, roten Schreintore am Eingang, die ein bisschen an die steinernen Portale von Stonehenge erinnern. Das Gelände war ein Ort heiterer Unterhaltung. Die Gemälde zeigen Pilger, die begleitet von Trommel- und Shamisen-Spielern, ausgelassen im Kreis tanzen, und Gruppen von Menschen, die Federball spielen, während unter den Bäumen Frauen in Kimonos Teezeremonien abhalten und Sänftenträger vor sich hin dösen. Auf beiden Seiten des Haupttores gab es schindelgedeckte Buden, in denen lächelnde Frauen im Kimono, das Haar zu losen Knoten geflochten, Tee bereiteten und runde weisse dango (Reismehlklösse) dämpften.
Dies waren die ersten Teehäuser. Nach und nach wurden stärkere Getränke und herzhafteres Essen serviert, und die Frauen begannen, für ihre Gäste zu singen und zu tanzen. Sie erbrachten auch andere, eher persönliche Dienstleistungen, wenn dies auch streng verboten war. Der Name "Teehaus" (ochaya) aber hat sich erhalten.
Unter dem Shogunat konnte ohne offizielle Erlaubnis nichts bestehen. Teehäuser hatten wie Bordelle den Beigeschmack des Wollüstigen und waren daher zu lizenzieren. Die ersten Teehäuser in Gion entstanden 1665, doch erst 1712 wurden diese Etablissements von den Behörden genehmigt, und Gion wurde offiziell zum Teehausviertel erklärt. Nun schossen zwischen Yasaka-Schrein und Kamo die Teehäuser wie Pilze aus dem Boden.
Ausser Gion lizenzierten die Behörden zwei weitere Vergnügungsviertel, beide sollten später zu berühmten Geisha-Bezirken werden. Das eine war Pontocho, eine Häuserzeile entlang des Kamo am anderen Flussufer.
Das andere war Kamishichiken hoch oben im Nordwesten der Stadt, am Eingang zu einem weiteren grossen Schrein, Kitano Tenmangu.
Kamishichiken war einigermassen exklusiv. Seine Patrone stammten meistens aus der Zunft der Seidenhändler, die in dieser Gegend lebten. Gion aber, das berühmteste und am meisten gefragte, hiess jedermann willkommen, der wohlhabend und kultiviert genug war, sich dort zu amüsieren.
Während sich die Tee kochenden Damen und tanzenden Mädchen von Gion rasch zu Kurtisanen mauserten, die in jeder Hinsicht genauso gebildet und verführerisch waren wie die in den Lizenvierteln, entwickelte Edo, die "Stadt der Junggesellen", seine eigene Art freischaffender Prostituierter. Und es war in Edo, in einer ziemlich verrufenen Gegend namens Fukagawa, in der Prostituierte ihr Geschäft von kleinen Holzhäusern am Ufer des Flusses Sumida aus betrieben, wo sich die erste Frau etablierte, die sich selbst als Geisha bezeichnete. Das war um das Jahr 1750. Ihr Name war Kikuya, und sie war eine Prostituierte, die sich mit ihrem Shamisenspiel und ihrem Gesang einen Namen gemacht und daraufhin beschlossen hatte, ihre Unterhaltungskünste zu ihrem Hauptberuf zu machen.
Irgendwann gegen Ende des 17. Jahrhunderts begannen ein paar Daimyos und hoch dekorierte Samurai auf die Feste, die sie zu geben hatten, odoriko einzuladen, die für die Gäste tanzten. Für die unteren Ränge bot dies eine ideale Gelegenheit, der eigenen Tochter eine einträgliche Beschäftigung oder, mit ein bisschen Glück, einen Platz in einem guten Haushalt zu verschaffen. Also begannen die Städter, ihre Töchter zum Tanzunterricht zu schicken.
Ein paar Jahrzehnte später hatten diese Tänzerinnen ihr Repertoire erheblich erweitert. Zu jener Zeit quoll Edo - und vor allem der entlegene Aussenbezirk Fukagawa - von jungen Frauen geradezu über, die sich selbst als odoriko bezeichneten, in Wirklichkeit aber nichts anderes waren als Prostituierte.
Manche waren zu alt, um odoriko zu sein, was wörtlich so viel wie "tanzendes Kind" heisst. Diese älteren odoriko begannen, sich als Geishas zu bezeichnen.
Die erste weiblich Geisha, Kikuya, war vermutlich eine dieser Frauen, und sie muss ein Star gewesen sein, denn ihr Name hat die Jahrhunderte überdauert, wenngleich man ausser ihrem Ruhm als brillante Sängerin und Tänzerin so gut wie nichts über sie weiss. Ungefähr zur selben Zeit, als sie ihre Künste in den Teehäusern von Fukagawa darbot, tauchte in Kyoto, hinter den Mauern von Shimbara, die erste Trommlerin auf einer Party auf. Sie wurde geiko gerufen, wörtlich "Kind der Kunst", und noch heute ist das in Kyoto die Bezeichnung für eine Geisha. Bald riss man sich um Geishas. Teeverkäuferinnen, Tanzmädchen und Trommlerinnen gingen dazu über, sich als Geishas zu bezeichnen, und bestanden darauf, dass sie nicht einfach nur Prostituierte, sondern viel mehr Künstlerinnen seien. Ein neuer Beruf war geboren.
Die weiblichen Geishas waren sofort ein Erfolg. Im Unterschied zu den Kurtisanen und Prostituierten der Vergnügungsviertel waren sie unabhängige, gescheite Frauen, die ihren Lebensunterhalt mit ihrer Kunst und ihrem Witz verdienten und nicht durch umständliche Traditionen eingeengt wurden, die sie zwangen, sich in einer bestimmten Weise zu benehmen. Sie mussten sich nicht an die endlosen Formalitäten halten und konnten ihre Sexualpartner wählen, wie und wann sie wollten. Sie waren Frauen von Welt. Und obwohl sich die Geisha-Viertel in bestimmten Teilen der Stadt drängten, so waren sie doch nicht von Mauern umgeben. Die Frauen konnten frei kommen und gehen. Sie waren keine Vögel im goldenen Käfig.
Während sich Shimabara rasch dem neuen Trend zuwandte, hielt Yoshiwara noch fast ein Jahrzehnt dagegen. Letztlich aber begannen die Bordellbesitzer dort in Anbetracht dessen, dass ihr Geschäft von der Popularität dieser neuen Art von Frauen massiv gefährdet schien, ebenfalls freischaffende weibliche Geishas einzustellen, um mit den Tanzmädchen, Geishas und geiko vor den Toren mithalten zu können.
Während die Kurtisanen ihren Obi vorne banden, trugen die Geishas ihn keusch auf dem Rücken gebunden wie jede gewöhnliche Stadtbewohnerin auch. Statt prunkvoller Kimonos trugen sie schlichte, einfarbige, die am Hals den eng anliegenden weissen Kragen des Unterkimonos sehen liessen. Ihre Frisur war vergleichsweise einfach, nur mit zwei oder drei Haarnadeln und einem einzelnen Kamm geschmückt statt mit einem ganzen Arsenal aus Schildpattnadeln, Kämmen, Bändern und Verzierungen, wie sie die Kurtisanen trugen. Ein Teil der Bescheidenheit, die den Geishas ihren besonderen Reiz verlieh, war das Resultat behördlicher Anweisungen. Selbst wenn sie sie hätten tragen wollen, reich verzierte Kimonos waren verboten.
Inzwischen konnte niemand mehr bestreiten, dass Geisha ein eigenständiger Beruf geworden war. Die Bordellbesitzer von Yoshiwara wurden in Anbetracht von deren Erfolg und Popularität immer besorgter. 1779 plädierte ein Mann namens Shoroku, seines Zeichens Besitzer des Daikokuya, eines der ältesten Etablissements im Viertel, dafür, eine Überwachungsstation einzusetzen, ein kemban, um ihre Tätigkeit zu regulieren und zu kontrollieren. Mit Unterstützung der anderen Bordellbesitzer setzte er sich zur Ruhe und ernannte sich selbst zu besagtem Kontrolleur. Er liess sich am Grossen Tor von Yoshiwara nieder und verkaufte 100 Lizenzen an Geishas. Er hatte einen Stab aus zwei Inspektoren und mehrere Dutzend Angestellte, die sämtliche Anforderungen, Geishas zu diesem oder jenem Anlass zur Unterhaltung zu entsenden, bearbeiteten.
Das kemban behielt 30 bis 50 Prozent der Gage einer Geisha ein. Auch hatte es ein Auge darauf, dass die Geishas sich nicht etwa als Prostituierte verdingten und so mit den Geschäften von Yoshiwara kollidierten. Wohin eine Geisha auch ging, sie wurde stets von einem Mann begleitet, der ihr Shamisen trug. Ausserdem war es sein Job, sie im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, dass sie nicht etwa davonlief.
Shoroku entwarf bestimmte Verhaltensregeln, um Geishas von Kurtisanen oder Prostituierten abzugrenzen und sicherzustellen, dass sie einander nicht die Kundschaft wegnahmen. Geishas sollten nicht gerade aus den schönsten Frauen ausgewählt werden. Sie hatten schlichte Kimonos und eine einfache Frisur zu tragen. Sie mussten stets zu zweit oder zu dritt arbeiten, durften nie allein auftreten, um etwaige Interessenten abzuschrecken, und sie durften sich nicht allzu nahe zu den Gästen setzen. Beschuldigte eine Prostituierte eine Geisha, ihr den Freier ausgespannt zu haben, so gab es sofort eine Untersuchung. Eine Geisha, die gegen das Reglement verstiess, verlor ihre Lizenz für mehrere Tage oder sogar auf Dauer.
Diese Einschränkungen galten nur für diejenigen, die in den Vergnügungsvierteln arbeiten wollten. Es bestand nie auch nur der geringste Zweifel daran, dass die Geishas aus Fukagawa, elegant und begabt, wie sie waren, schliefen, mit wem sie wollten und wann immer sie es wollten. Doch Prostituierte waren Prostituierte, und Geishas waren Geishas. Wenn eine Geisha sich entschloss, mit einem ihrer Gäste eine Beziehung einzugehen, wurde dies vor dem Gesetz als schlechtes Benehmen eingestuft, nicht aber als Prostitution. Und so etwas war einzig und allein Sache der Geishas. Gezwungen wurden sie zur Prostitution nie.
Die Geishas von Fukagawa oder Tatsumi waren vor allem anderen berühmt für ihre erotische Ausstrahlung. Über ihren schlichten, betont bescheidenen Kimonos trugen sie einen haori, einen lockeren, quadratisch geschnittenen Überwurf mit extrem weiten Ärmeln, den ursprünglich nur Männer trugen. Das gab ihnen einen leicht verruchten Anstrich, der ein bisschen an die Kabuki-Darsteller erinnerte, die in Frauenrollen auftraten und sich beim Verlassen des Theaters ein solches Kleidungsstück über ihre Frauenkleider warfen. Geishas trugen grundsätzlich keine tabi (Leinensocken). Sogar im tiefsten Winter gingen sie barfuss, ihre rot lackierten Zehennägel blitzten in gefälligem Kontrast zum Schwarz ihrer Lackpantinen unter dem Saum ihrer Kimonos hervor. Das Wort für diesen lässigen, unangestrengten Chic lautet iki, und die Fukagawa-Geisha verkörperte diesen mehr als jede andere.
In jenen Tagen lag Fukagawa am Meer. Junge Burschen, die die Gesellschaft einer Geisha suchten, kamen häufig in einem Hausboot den Fluss hinunter und den Strand entlang.
Wenn der junge Mann sich dem Fukagawa-Bezirk näherte, werden ihn sicher das Geklimper der Shamisen und der Gesang aus den Restaurants und Teehäusern entlang des Ufers ganz und gar gefangen genommen haben. Die Geishas waren gute Musikerinnen, die ihre Kunst über Jahre hinweg studiert hatten.
Der junge Mann, der eine dieser eleganten modernen Frauen erobern wollte, musste selbst ein sehr überlegener Charakter sein. Während das Idealbild der Frauen iki hiess, bestand der Ehrgeiz der Männer darin, ein tsu zu sein - ein gebildeter Geniesser. Das Wort ist um 1770 entstanden und wurde rasch der letzte Schrei. Ein tsu zu sein bedeutete, sich in der Halbwelt auszukennen, die Spielregeln so gut zu beherrschen, dass man völlig gelassen agieren konnte.
Zur Edo-Zeit wusste man alles, was es über eine Person zu sagen gab, wenn man nur ihre Frisur ansah. In jener Zeit hatte jede Klasse ihre besondere Haartracht. Anhand der Frisur konnte man bei jedem Menschen feststellen, welcher Schicht er angehörte, was für eine Art von Arbeit er verrichtete und aus welchem Teil des Landes er stammte. Die Geisha-Welt ist der einzige Ort, wo das heute noch so ist. Für jede Stufe in der Laufbahn einer Geisha gibt es besondere Frisuren, ebenso für Geishas in den verschiedenen Landesteilen, und es gibt verschiedene Kimonos.
Eine kunstvoll geschmückte Haartracht, mit Bändern, Zierrat und Seidenblumen besteckter hörnchenartiger eingerollter Knoten von der Form eines Vogelnests, der oben auf dem Kopf getragen wird, ist wareshinobu. Die erste Frisur einer Maiko. Sie bedeutet, dass das Mädchen jung und hübsch ist. Die weniger reich geschmückte Frisur, bei der der Knoten sehr viel tiefer sitzt, ist die zweite Frisur der Maiko, sie heisst ofuku und bedeutet, dass man ihr gratulieren kann, weil sie keine Jungfrau mehr ist. Früher fingen die Maikos schon mit dreizehn an, das Haar so zu tragen.
Es ist schwer damit klarzukommen, dass die heute älteren Geishas ihre Unschuld im zarten Alter von dreizehn Jahren verloren haben sollten - das heisst, ob sie wollten oder nicht, entjungfert worden waren.
Sie alle mussten da durch - sie alle hatten ihre mizuage. Der danna zahlte für das Privileg der mizuage, kaufte dem Mädchen ein Haus und zahlte ihm Unterhalt. Die Ehefrauen? Sie waren mehr wie Angestellte, sie hielten das schlicht für normal. Heutzutage würden sie die Scheidung einreichen! Dreihundert Jahre hindurch war es völlig normal, dass ein Mann dafür zahlte, wenn er mit einer Frau Sex haben wollte, und für Frauen war es normal, Sex zu verkaufen. All das hat sich heute natürlich geändert. Seit 1958 ist alles völlig anders geworden. Heute ist alles viel ernster. Die Maikos konzentrieren sich ganz und gar auf ihre Tanzkunst. Die ofuku-Frisur bedeutet heute nur, dass sie die Fortgeschritteneren sind.
Hatte eine Maiko dieses Stadium erreicht, gab es keine weitere Stufe. Sie trug fortan das Haar im ofuku-Stil, wenn es auch freilich ein paar andere Frisuren gab, die bei besonderen Gelegenheiten getragen wurden: yakko-shimada, eine hinreissend elegante Haartracht, die anlässlich der Neujahrsfeierlichkeiten gesteckt werden, die Glück und Fruchtbarkeit bringen sollen. Oder katsuyama, benannt nach einer Badehausdienerin aus dem 17. Jahrhundert, die zu einer glanzvollen Kurtisane wurde, deren aufwendige Frisur weithin berühmt war. Die letzte Haartracht einer Maiko heisst sakko und wird in den letzten vier Wochen vor ihrer Erhebung in den Stand einer regulären Geisha getragen.
Die Autorin dieser Zeilen war bei den Vorbereitungen für das Debüt einer Maiko namens Kanosome eingeladen, was ein unglaubliches Privileg bedeutete.
Dieser erste Auftritt ? misédashi, wörtlich: "Geschäftseröffnung" - ist eines der wichtigsten Rituale in der Laufbahn einer Geisha, der Tag an dem sie im Alter von 15 Jahren erstmals als vollwertige Maiko auf der Geisha-Bühne auftritt.
Kanosome kniete auf dem Boden des Geisha-Hauses, ihren baumwollenen yukata hatte sie zurückgeschlagen, so dass ihre Schultern bloss waren.
An den Wänden hingen Kimonos, und auf dem Fussboden verteilt befanden sich Töpfchen, Tiegel, Tuben und Pinsel zum Schminken. Kanosome hatte mit ihren 15 Jahren das Gesicht einer klassischen japanischen Schönheit, wie man es aus Holzschnitten kennt: die vollendete Form eines Melonenkerns mit leicht vorstehendem Unterkiefer, grossen, weit auseinander stehenden Augen und einem Mund, der nicht zu gross und nicht zu klein geraten war.
Ohne Make-up war sie lediglich ein nervöser und aufgeregter Teenager. Trotz ihrer mittelalterlichen Haartracht mit den vielen roten Bändern, Schildpattkämmen und dem vielen Schmuck konnte man sie sich leicht in Jeans oder Schuluniform vorstellen.
Geduldig und gehorsam kniete sie bewegungslos, währen Masami, die Senior-Geisha des Hauses, ihr die Schultern massierte und ihr dann mit einem dicken weissen Wachstupfen gründlich das Gesicht einrieb.
Aus einer Tube mit weissem Make-up gab Masami dann ein bisschen Schminke in ein Schälchen, mischte eine Spur Pink darunter und trug mit einem breiten, flachen Ziegenhaarpinsel sorgfältig eine deckende Schicht davon auf Kanosomes Gesicht auf, wobei sie um den Haaransatz eine sauber gezogene Linie von unbemalter Haute freiliess.
Früher war das Make-up eine weisse bleihaltige Paste gewesen, die eine katastrophale Wirkung auf die Haut hatte. Heutzutage verwenden Maikos und Geishas ein verträglicheres Make-up, das von dem japanischen Kosmetikhersteller Kanebo hergestellt wird - wenngleich moderne Frauen ebenso wie Geishas zur Reinigung der Haut und, um ihr eine perlenähnliche Blässe zu verleihen, noch immer auf Nachtigallenkot schwören, der in japanischen Biokosmetikläden in kleinen Flaschen verkauft wird. Um den Gesicht ein leuchtendes Weiss zu verleihen, mische sie ein kleines bisschen Rose unter, erklärte Masami, reines Weiss würde auf japanischer Haut einen fahlen Schimmer ergeben. Hals und Schultern aber schminke sie rein weiss, um den Kontrast zu dem leuchtenden Rot des Kragens zu unterstreichen.
Als Nächstes trug Masami eine Schicht weissen Puders auf, tupfte und stäubte, bis Kanosomes Gesicht so glatt wie Alabaster und so jungfräulich wie die leere Leinwand eines Malers wirkte. Die Augenhöhlen schminkte sie ein wenig rosa aus, und auch die Nasenflügel erhielten einen leichten rosa Schimmer. Dann trug sie auf Hals und Schultern des Mädchens mit dem Pinsel eine Schicht Weiss auf und puderte auch diese ein.
Mit einem feinen Pinsel tönte Masami in fedrigen Strichen die Augenbrauen, sie zeichnete sie dabei sehr gerade, wie die Flügel eines Schmetterlings. Dann zog sie die Augen zunächst mit einem roten Strich nach, wobei sie die Linie bis zu den Augenwinkeln weiterführte, und umrahmte sie zum Schluss noch einmal mit einer schwarzen Linie.
Dann nahm Masami eine silberne Schablone und legte sie dem Mädchen auf den Rücken, genau unterhalb ihres Haaransatzes. Mit einem grossen flachen Pinsel schminkte sie den Rücken von den Ohren bis weit hinunter zur Mitte hin weiss. Dann entfernte sie die Schablone, zurück blieb eine aufreizende, symmetrisch gelappte Insel aus unbemalter Haut. Normalerweise benutzen Maikos zwei Spiegel, um sich den Rücken zu schminken und das W aus unbemalter Haut zu gestalten, das auf die intimeren Details der Frau hinter dem Make-up neugierig machen soll.
Zwei otokushi kamen geschäftig herein, Frauen in mittleren Jahren, sie trugen Röcke und hatten weisse Handschuhe an. Seit sie sich aus dem Geisha-Beruf zurückgezogen hatten, arbeiteten sie als otokushi, was wörtlich so viel heisst wie "Bediensteter" oder "Boy". Sie waren die Gehilfen der Geishas, gingen ihnen beim Ankleiden zur Hand, trugen ihnen den Shamisen-Koffer, wenn sie zwischen Geisha-Haus und Teehaus hin und her pendelten, und waren in vielen Fällen deren Vertraute, wurden in die pikantesten Details des neuesten Klatsches eingeweiht. Dieser Tage gab es nur noch fünf der ursprünglich ausschliesslich männlichen "Boys", alle relativ hoch betagt. Ihr Beruf war zum grössten Teil von Frauen übernommen worden.
Schwatzend und lachend halfen die otokushi Kanosome in ihre Unterkimonos, zuerst in einen dünnen roten Unterrock und eine weisse Baumwollbluse mit rotem Kragen und langen roten Ärmeln, dann in einen zweiten, bodenlangen Unterrock, und verschnürten alles mit Seidenbändern. Anschliessend legten sie ihr einen rot, weiss und silbern bestickten Brokatkragen um den Hals. Kanosome stand reglos wie die Ankleidepuppe eines Schneiders, während die Frauen zupften, richteten und schnürten.
An der Wand hing ein prächtiger schwarzer Kimono, auf dessen Saum und Schulterpartie ein Strom von weiss und türkis changierendem Wasser dahinwirbelte. Auf dem Wasser trieben Blüten und Blätter, eine stilisierte Brücke führte darüber. Für jede Jahreszeit und jeden Anlass gibt es den passenden Kimono. Dieser hier war ein offizieller, festlicher Kimono, wie er nur zu besonderen, feierlichen Gelegenheiten getragen wird. Er war aus einem leichten, fast durchsichtigen, luftigen Seidengewebe, wie man es im Sommer trägt.
Die Frauen halfen Kanosome in ihre Gewänder, zogen Kragen und Kimono im Rücken tief herunter, um einen grosszügigen Blick auf jene aufreizende Fläche aus weiss geschminkter Haut und das delikat ausgesparte W am Haaransatz freizugeben. Der Obi, ein schwerer Bund aus prunkvollem Goldbrokat, wurde mit Seidenbändern an seinem Platz verzurrt und ihr dann um die Taille geschlungen, im Rücken wurde er mit einem Kissen ausgepolstert. Schliesslich verschnürten die beiden alles mit seidenen Bändern, so dass die beiden langen Enden des Obi bis auf den Boden hinunterreichten.
Schliesslich rundete Masami das Ganze ab: Sie nahm eine kleine Menge einer tiefroten Paste, feuchtete einen feinen Pinsel an und malte in die Mitte von Kanosomes Unterlippe sorgfältig ein winziges rotes Blütenblatt. Die Oberlippe blieb weiss, denn eine Maiko fängt erst nach einem Jahr an, sich auch die Oberlippe rot zu schminken. Schliesslich steckte sie noch zwei silbern behängte Kämme in Kanosomes Haarpracht und drückte ihr Maskara und Spiegel in die Hand.
Von dem Teenager war nichts mehr zu sehen. An seiner Stelle sass eine wunderschöne, bemalte Puppe, ganz Lippen und Augen auf dem reinen Leinwandweiss des Gesichts.
Für die angehende Maiko Harumi war es die erste schwere Entscheidung ihrer Laufbahn, ob sie misedashi, das dreitägige Debüt zur Maiko, durchstehen sollte? Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Kosten, die die Hausmutter in ihre Ausbildung und Verpflegung investiert hatte, noch nicht sehr hoch gewesen. Das Debüt selbst aber war eine teure Angelegenheit. Danach würden sich die Kosten für Unterrichtsstunden, Kimonos, Schminkzubehör, regelmässige Besuche beim Friseur und, nicht zu vergessen, das Taschengeld und andere Unterhaltskosten zu einer riesigen Summe addieren. Wenn sie aussteigen wollte, so war dies der richtige Moment dafür. Andernfalls wäre sie verpflichtet, die nächsten fünf Jahre das Leben einer Maiko zu führen. Es war eine schwierige Entscheidung für ein Mädchen von 14 Jahren.
Haruta, die Hausmutter, bemerkte dazu: Die Welt der Blumen und Weiden funktioniert nach strikten Regeln, genau wie das alte Japan. Daheim sind Kinder frei. Hier nicht. Ich rate ihnen immer: Versuchs für ein Jahr. Die meisten geben nach drei Monaten auf. Sie sind Kinder, sie verstehen nicht, auf was sie sich einlassen.
Für Harumi hat sich die Frage nie ernsthaft gestellt. Wenn sie hätte gehen wollen, hätte sie das lange vorher getan. Ausserdem hatte sie bereits einen ersten Vorgeschmack darauf gehabt, wie es war, geschminkt und zum Inbegriff weiblicher Schönheit verkleidet hinauszugehen, und diese Erfahrung hatte sie begeistert. Aller Disziplin und harten Arbeit zum Trotz war dies doch der Traum eines jeden Mädchens, ein ewiges Verkleidungsspiel.
Vor ihrem Debüt gab es noch ein wichtiges Zeremoniell. Damit sie als vollwertiges Mitglied in die Geisha-Familie aufgenommen werden konnte, musste Harumi von einer "älteren Schwester", einer älteren Maiko oder einer Geisha, adoptiert werden, die ihre Mentorin sein würde, sie die Grundlagen der Geisha-Lebensart lehren, ein Auge auf ihre Fortschritte in Tanz und Musik haben und, das Wichtigste von allem, die Verantwortung übernehmen würde, falls ihr ein Fehler unterliefe.
Sie würde einen Künstlernamen erhalten, bis dahin war sie bei dem Namen gerufen worden, den sie von Geburt an trug. Wie ein Nachname, der die Verbindung mit der Familie dokumentiert, aus der man stammt, würde ihr Geisha-Name wissen lassen, welcher Geisha-Familie sie angehört, und insbesondere ihre Verbindung zu ihrer "älteren Schwester" deutlich machen. Die ältere Schwester von Haru-mi - "Frühlingsschönheit" - ist Haru-ka, "Frühlingsblume", die Senior-Maiko des Hauses Haru-ta - "Frühlingsfeld".
Frauen, die vor 30 oder 40 Jahren als Maikos begonnen haben, erinnern sich noch gut daran, Bittschriften an eine besonders berühmte Maiko oder Geisha verfasst zu haben, in denen sie darum nachsuchten, von dieser als jüngere Schwester aufgenommen zu werden. Wer das Glück hatte, von einer hinreissend schönen Geisha oder einer der besten Tänzerinnen adoptiert zu werden, konnte sicher sein, in die besten Teehäuser eingeführt zu werden und sich im Ruhm sonnen zu können. Für eine ehrgeizige Maiko ist das noch immer der sicherste Weg, ihre Karriere zu ebnen. Umgekehrt halten die Geishas häufig auch Ausschau nach viel versprechenden Maikos, die entweder besonders hübsch oder besonders talentierte Tänzerinnen sind, um sie unter ihre Fittiche zu nehmen.
Der Übergang wird durch eine Zeremonie gekrönt, die an einem besonders günstigen Tag gefeiert wird; welcher das ist, bestimmt ein Wahrsager im Einklang mit den jeweiligen Vorzeichen. Das Ritual san-san-kuda, "drei mal drei, neunmal" ist genau dasselbe wie der feierlich bindende Teil der japanischen Hochzeitszeremonie, so ähnlich wie der Ringtausch im Westen. Es war fast so, als heiratete Harumi in derselben Weise in die Geisha-Gemeinschaft wie eine Nonne in ihren Orden. Und genau wie sie würde Harumi, wenn sie eines Tages heiraten wollte, ihr Geisha-Gelübde widerrufen müssen.
Haruka hatte auch eine Entscheidung zu treffen. Sie war nun seit fünf Jahren Maiko gewesen, und diese Phase ihres Daseins in der Geisha-Welt neigte sich allmählich ihrem Ende zu. Sie hatte den wichtigsten Wendepunkt in ihrer Laufbahn erreicht. Blieb sie dabei, so bestand der nächste Schritt im erikae, dem "Wechsel des Kragens", bei dem der dicke reich bestickte rote Unterkragen der Maikos - eri - durch den weissen einer Geisha ersetzt und ihr die langen Maiko-Locken in Vorbereitung auf das Tragen der Geiko-Perücke abgeschnitten werden würden. Wenn sie aufhören wollte, war nun der Augenblick gekommen sich zu entscheiden. Anderweitig müsste sie sich für mindestens zwei Jahre verpflichten.
Die Entscheidung für die fünfjährige Maiko-Zeit trafen relativ viele junge Frauen. Für viele ist das so, als entschieden sie sich für ein Mädchenpensionat, um einen gewissen Schliff und ein hinreichendes Mass an Nonchalance zu erwerben, ausserdem konnte man dort mit einem üppigen Angebot an wohlhabenden und einflussreichen Männern rechnen, von denen sich der eine oder andere womöglich als künftiger Ehemann erweisen konnte. Geishas waren weit weniger schillernd, sie standen mehr für die stille, diskrete Seite des Geschäftes.
Geisha zu sein ist eine Berufung. Der Zeremonie des Kragenwechsels unterzieht eine Maiko sich nur, wenn ihr dies wirklich ein Bedürfnis ist. Beispielsweise, weil ihr die traditionelle Musik und der Tanz am Herzen liegen und sie dies als Beruf betreiben will oder weil ihr dieses Leben gefällt und sie es nicht aufgeben will. Doch wenn sie sich entscheidet weiterzumachen, bringt sie ihre besten Jahre damit zu, Tanz und Gesang zu studieren und alte Männer auf Partys zu unterhalten. Und wenn sie nach alledem doch schliesslich heiraten möchte, findet sie sich womöglich auf dem Abstellgleis.
Die Nachfrage nach Maikos ist ungeheuer. Kyoto ist der einzige Ort im Land, in dem es noch Maikos gibt, und sie werden häufig eingeladen, um eine Party für besonders wichtige Gäste in einem erlesenen Restaurant in einer anderen Stadt aufzuwerten. Sie reisen erster Klasse mit dem Hochgeschwindigkeitszug und wohnen in Fünfsternehotels. Manchmal werden sie auch eingeladen, um auf Konferenzen oder Ausstellungen - beispielsweise für Kimono-Stoffe - einfach nur hübsch auszusehen und nett zu plaudern. Dazu kommt, dass jeder, der nach Kyoto kommt und über Beziehungen oder einen prallen Geldbeutel verfügt, einer Maiko begegnen möchte. Sie sind das Aushängeschild der Stadt oder, wie es ein selbst ernannter Connaisseur ausdrückte: "Maikos sind das Bukett von Kyoto".
Für Frauen, die vor Inkrafttreten des 1958 erlassenen Gesetzes gegen die Prostitution Maikos geworden waren, das heisst für jede Frau über fünfundfünzig, und dazu gehörten eine Menge der älteren Frauen innerhalb der Gemeinschaft, hatte die rituelle Zwangsdefloration in jungen Jahren schlicht und einfach zum Leben gehört. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie die verwöhnten Kinder mehrere Geisha-Generationen und in einem reichen Geisha-Haus mit Dienern und Hausmädchen aufgewachsen waren oder ob sie als Kinder hungernder Bauern einst weinend vom Land hierher verschleppt worden waren. Den Mädchen jener Zeit blieb keine andere Wahl. Die Möglichkeit, vor dem Debüt oder vor dem Kragenwechsel auszusteigen, existierte einfach nicht.
Was nicht heissen soll, dass sie nur unglücklich waren. Japaner praktizieren gaman - Geduld, Beharrlichkeit, sich abfinden, Dinge durchstehen. Wenn es kalt ist, friert man und verschwendet keine Energie damit, das Haus zu heizen. Wenn es heiss ist, schwitzt man. Zentralheizung und Klimaanlagen sind sehr junge Errungenschaften in Japan und ältere Leute haben damit noch heute nicht allzu viel im Sinn. Und wenn ihnen gesagt wurde, dass es an der Zeit für ihre mizuage sei, dann fügten sie sich eben.
Vor dem Einschnitt von 1958 war die mizuage nicht nur etwas, was jede Frau ergeben hinnahm, sondern vielmehr der wichtigste Schritt in der Laufbahn einer Maiko. Wie die Beschneidung eines Jungen, schmerzhaft, aber nicht zu vermeiden, war auch sie ein Initiationsritus. Sie markierte den Übergang von der Maiko zur Geisha, vom Mädchen zur Frau, und war die Voraussetzung für den Kragenwechsel, Synonym des Erwachsenswerdens. Solange man das nicht hinter sich hatte, war man keine Frau. Eine jungfräuliche Geisha war ein ebensolcher Widerspruch wie eine jungfräuliche Ehefrau.
Vom Standpunkt des Kunden aus betrachtet, war die Chance, eine Maiko zu entjungfern, geradezu unwiderstehlich. Wie überall waren auch hier Jungfrauen heiss begehrt. Und eine Maiko war sozusagen das Nonplusultra unter den Jungfrauen, die crème de la crème, von ausgesuchter Schönheit, gewandt, kultiviert und sorgsam darauf trainiert, einem Mann jeden Wunsch gehorsam zu erfüllen. Die Männer waren bereit, ein kleines Vermögen für das Privileg auszugeben, eine Maiko zu entjungfern.
Was das Geisha-Haus betraf, so hatte es eine Menge Geld investiert, zunächst durch die Aufnahme, dann durch die Kosten für Unterricht, Kimonos, Unterkunft und dergleichen. Der erste Schritt zu einer allmählichen Rückerstattung war die mizuage, eine der lukrativsten Transaktionen in der gesamten Laufbahn des Mädchens.
Dieser Brauch begann mit den Kurtisanen. Genau wie für die Geishas waren auch für sie die Kosten für das Debüt unbotmässig hoch. Es war schlicht nicht möglich, wenn sich kein wohlhabender Gönner finden liess, der dafür bezahlte. Als Gegenleistung hatte derjenige, der bereit war, das Geld auszulegen, das Privileg, der erste Patron der frisch gebackenen Kurtisane zu sein. Die Bezahlung war weniger als Entgelt für die Entjungferung gedacht denn als Zuschuss für die Debütkosten, wobei dieser Unterschied der jungen Frau freilich rein akademisch vorkommen musste.
Für eine moderne Frau hat die Vorstellung, von einem reichen alten Mann, der eine Menge Geld für dieses Privileg bezahlt hat, in einer nächtlichen Blitzaktion entjungfert zu werden, etwas unaussprechlich Abschreckendes. Doch so barbarisch sich dies auch ausnehmen mag, man muss es im Kontext sehen. Auf die eine oder andere Weise mussten sich die meisten japanischen Frauen, die vor 1958 aufgewachsen waren, damit abfinden, mit irgendwem Sex zu haben, den sie kaum kannten und der ihnen gleichgültig war. Gehörten sie einer sozialen Klasse an, in der die Ehen arrangiert wurden, hatten sie ihren künftigen Ehemann vor der Hochzeit oft nur ein- oder zweimal gesehen und waren bei diesen Begegnungen vermutlich so schüchtern gewesen, dass sie nicht gewagt hatten, die Augen höher als bis zu seinen Schuhspitzen zu erheben.
Im Ichiriki-Teehaus, Gions berühmten Teehaus mit den Terrakotta-Wänden, gab es einen kleinen abgeschlossenen Raum namens Kako-i, in den Maikos gingen, um "angesehen zu werden". Dunkel war es dort und unheimlich. In der Regel wurden vier oder fünf Maikos gleichzeitig hineingerufen. Der Kunde musterte sie und entschied sich dann für eine von ihnen.
Mirare war in keinem Fall schön für die Maikos. Wurde man gewählt, war es auch nicht schön. Wenn man denjenigen, der einen gewählt hatte, nicht mochte, hätte man theoretisch nein sagen können. Für ein Mädchen, das aus einem Geisha-Haus kam, war das nicht schwierig. Doch wenn man eine Maiko war, die von weit her kam und hart arbeitete, um Geld zu verdienen, konnte man es sich nicht leisten, nein zu sagen.
Das war der Unterschied zwischen den tayu-Kurtisanen der alten Zeiten und Geishas. Tayu suchten sich aus, mit wem sie schliefen. Sie konnten zu einem Kunden sagen: "Du! Mit dir schlafe ich heute Nacht!" Aber Geishas konnten nicht wählen. Sie wurden gewählt.
"Angesehen werden" beschrieb also, dass ein Kunde sich eine Partnerin wählte - entweder für die Nacht oder auch als längerfristiges Arrangement. Zuerst informierte er die Herrin seines Stammeshauses, dass er so etwas vorhabe. Die schickte dann nach einer Reihe von Geishas und Maikos, die, wie immer begleitet von ihrem "Boy", zum Teehaus hinüberkamen.
Dass mirare anstand, wusste man sofort, wenn ein einzelner Kunde nach einer Gruppe von Maikos oder Geishas fragte. Wenn sie sich fertig machten, steckten sie sich oft am Hinterkopf, wo es der Kunde nicht sehen konnte, einen Kamm ins Haar. Er war so etwas wie ein Glücksbringer, ein Zauber, der verhindern sollte, dass man gewählt wurde.
Das Ganze glich einem Vorsprechen. Nachdem der Kunde die Gruppe gemustert hatte, informierte er die Herrin des Teehauses oder deren Dienerin über seine Wahl. Sie gab die Nachricht an den "Boy" weiter. Dieser überbrachte sie der Mutter des Teehauses, in dem die fragliche Maiko lebte. Wenn diese ihre formelle Einwilligung gegeben hatte, kehrte er zum Teehaus zurück, und die Teehausmutter teilte den anderen Maikos mit, dass sie gehen könnten. Die erwählte Maiko blieb allein zurück.
Theoretisch hätte sie das Recht gehabt, den Kunden abzulehnen. In der Praxis gab es Gelegenheiten, bei denen man ablehnen konnte, und Gelegenheiten, bei denen das nicht ging. Unterdessen handelten der Gast und die Herrin des Teehauses den Preis aus. Die Tarife waren gleitend, je nachdem, was der Kunde erwartete, und das reichte von einer Nacht bis zu einem längerfristigen Arrangement.
Wenn ein Gast beschlossen hatte, danna einer Geisha oder Maiko zu werden, war dies eine mögliche Art, sich die Betreffende auszusuchen. Was die Geisha oder Maiko anging, so brauchten sie seinerzeit einen danna, um überleben zu können. Ob er nun wie ein Monster aussah oder jung und hübsch war, es wäre höchst unvernünftig von ihr gewesen, wenn sie abgelehnt hätte. Sie konnte sich ja immer noch einen heimlichen Liebhaber halten oder den einen Patron gegen einen anderen austauschen, wenn sie ein besseres Angebot bekam.
Wenn der danna sie, wie es hiess, "der Geisha-Welt entriss" - danna-san hika sareru -, mit anderen Worten, wenn sie sich entschied, sein Angebot anzunehmen und seine Konkubine zu werden, liess sie ihren Namen aus dem Geisha-Register streichen.
Ein anderes Arrangement, das bei den Gästen höchst beliebt war, lief unter der Bezeichnung zakone - "alle schlafen in einem Raum".
Am Ende einer Abendgesellschaft baten die Gäste die Herrin des Teehauses manchmal, in einem Geisha-Haus anzurufen und zu fragen, ob eine Maiko zum Übernachten kommen könnte. Das Honorar betrug die stündliche Gage der Maiko mal zwölf - mit anderen Worten, es war ein teurer Spass.
Der Ankleider brachte die Nachtgewänder der Maiko und legte die Kämme und allen Haarschmuck in eine Schachtel, die er zusammen mit den Kimonos zum Geisha-Haus zurückbrachte. Am anderen Morgen erschien er mit frischen Kimonos. Unterdessen legten die Dienerinnen des Teehauses einen grossen Raum mit Futons aus. Unter den gestrengen Augen einer älteren Dienerin, die sorgsam darüber wachte, dass nichts Unziemliches stattfand, schliefen Maikos und Gäste kreuz und quer im Raum verteilt beieinander. Sex hatte schliesslich sorgsam arrangiert und bezahlt zu werden. Ihn zu erschleichen war indiskutabel. Die Männer konnten sich mit den Maikos unterhalten, die Maikos untereinander auch, aber anfassen war verboten. Trotzdem fanden viele Männer Gefallen daran, von schönen jungen Frauen umgeben zu nächtigen. Für eine Maiko ergab sich hier die Chance, einem Gast das Herz zu stehlen. Mit ein bisschen Glück liess er sich so weit hinreissen, dass er bereit war, den offiziellen Weg zu gehen und sie für eine Nacht zu buchen oder gar ihr danna zu werden.
"Angesehen werden" und "übernachten" - all das war 1958 zu Ende. Davor waren die goldenen Zeiten für die Männer. Heute sind die Zeiten für Frauen gut. Diese Mädchen werden Maikos, weil sie es wollen, und sie gehen, wann sie es wollen.
Das Ichiriki-thei ist das renommierteste Teehaus von Kyoto und ganz Japan ein Begriff. Es erhebt sich stolz an der Ecke Shijo, der Haupteinkaufsstrasse, und Hanami-koji, der "Blumenschau-Allee". Die Teehäuser, die sich dicht an dicht an der Blumenschau-Allee drängen, wirken düster und wenig einladend, hohe Lattenzäune vor dem Haus, mit Bambusrollos verhängte Fenster, und ausser einer roten Laterne im Hauseingang und diskreten Holztäfelchen, auf denen die Namen der Geishas und Maikos notiert sind, die hier leben, gibt es so gut wie kein Lebenszeichen. Dahinter ein Gewirr von dunklen Gässchen, auf beiden Seiten gesäumt von gesichtslosen Häusern und geschlossenen Toren. Das Ichiriki hingegen ist gross und auffällig, ein hohes zweistöckiges Gebäude, dessen charakteristische, terrakottafarbige Wände ein Symbol für die Stadt sind. Trotzdem ist es ausser für die Privilegiertesten unter den Insidern genauso strikt verschlossen wie alle anderen.
Die Chefin hat folgendes zu erzählen: In den 18 Jahren, in denen sie im Ichiriki arbeite, sei die Zahl der Geishas und Teehäuser katastrophal zurückgegangen. Es habe einmal eine Zeit gegeben, da brachten die Gäste ihre Söhne mit, um sie vorzustellen. Aber heute seien die meisten Gäste über sechzig, und auch ihre Zahl nehme rapide ab. Statt am Abend auf eine "zweite Runde" oder eine "dritte Runde" zu einem Kneipenbummel aufzubrechen, zögen die Leute es immer mehr vor, nach Hause zu gehen. Einige der kleineren Teehäuser hätten bereits geschlossen. Dem Ichiriki gehe es noch sehr gut. Niemand lasse sich die Chance entgehen, in diesem historischen Teehaus einen Abend mit den berühmten Geishas von Gion zu verbringen. Aber ganz allein werde es auch nicht überleben können.
Damals in den 80-er Jahren, als die japanische Wirtschaft in steilen Aufschwung begriffen, galt das Ausgeben grosser Summen als der letzte Schrei. In jenen Tagen gab es in Tokyo einen legendären Coffee Shop, in dem man eine Tasse Kaffee für umgerechnet 220 Euro bekommen konnte. Sie konnten genau dieselbe Tasse Kaffee in demselben Laden auch für fünf Euro haben, aber das machte keinen Spass. Der Kitzel bestand darin, 220 Euro für eine Tasse Kaffee auszugeben. In der Geisha-Welt lebt diese Mentalität weiter.
Von dem Augenblick an, in dem eine Maiko oder eine Geisha ihre zierlichen Füsse in ihre Pantinen schiebt und die Tür des Geisha-Hauses aufgleiten lässt, ist sie bei der Arbeit. Die Uhr läuft unablässig, auch während sie von Party zu Party zieht, sie hört erst auf, wenn die Geisha am Ende des Abends ins Haus zurückkommt. Ob Sie eine Geisha zum Essen ausführen, mit ihr ins Theater gehen oder zusammen einen Tag auf dem Golfplatz verbringen, so entspannt und informell die Gelegenheit auch sein mag, sie ist bei der Arbeit und verdient stündlich ihr Honorar.
Die Geishas sprechen ohne Scham über Geld, wobei sie natürlich niemals "Geld" sagen würden. Das Wort für das Honorar einer Maiko oder einer Geisha heisst "Blumengeld" (hana-dai) oder o-hana (ehrenwerte Blume). In der guten alten Zeit, als japanische Uhren insgesamt einen etwas exzentrischen Lauf nahmen und die Uhren in den Vergnügungsvierteln überdies eine ganz andere Zeit schlugen als im übrigen Land, wurde die Zeit einer Maiko oder Geisha nach der Anzahl von Räucherstäbchen bemessen, die während der Arbeitszeit nieder brannten. In den verschiedenen Vierteln waren diese Räucherstäbchen unterschiedlich lang. In Gion gingen zwölf Stäbchen für eine Stunde, in Pontocho umfasste die Stunde vier Stäbchen. Den Namen gibt es noch immer, obwohl die Praxis längst ein Ende gefunden hat. Theoretisch verdienen alle Geishas eines Viertels dasselbe. Es gibt keine gleitende Altersskala. Mit anderen Worten - wie die Geishas nicht müde werden zu betonen: Geisha ist kein Beruf. Es ist eine Berufung.
Wie eine Maiko einmal erzählte, verdiene sie mehr, als ihre Schulkameradinnen, die einen Job als "Office Ladys" oder Sekretärinnen angenommen hatten.
Im Geisha-Haus wird für alles gesorgt: Ihre Kimonos, ihre Fächer, ihre Taschen, die Taxigebühren und die Besuche beim Friseur, all das wird vom Haus getragen. Die Hausmutter behält den gesamten Verdienst einer Maiko als Abbezahlung bestehender Schulden ein, gibt ihr jedoch ein monatliches Taschengeld. Ausserdem darf sie das Trinkgeld in der Regel behalten. Für beide, Hausmutter und Maiko, ist dies ein sehr einträgliches Geschäft.
Doch wenn sich die Maiko entschliesst, dabei zu bleiben und Geisha zu werden, muss sie nach ein oder zwei Jahren aus dem Geisha-Haus ausziehen und sich ein eigenes Domizil einrichten. Anders als eine Maiko ist sie nicht mehr so gefragt. Männern gefällt die Gesellschaft puppengleicher Maikos in ihren leuchtend bunten Kimonos und deren ungekünsteltes Gekicher. Deswegen sind sie nach Kyoto gekommen. Die Geisha hingegen übt einen seriösen Beruf aus. Der Erfolg einer Geisha gründet sich auf ihre Kunstfertigkeit in Musik und Tanz und ihr Konversationstalent; es reicht nicht, ein hübsches Gesicht zu haben. Als Geisha behält sie ihren Verdienst für sich, und sie muss versuchen, allein davon zu leben. Tatsächlich wäre das Leben sehr viel einfacher, wenn sich ein danna finden liesse.
Die ersten Abendgesellschaften fanden von 18 Uhr bis 21 Uhr statt. Einladungen in Japan teilten einem in der Regel mit, um welche Zeit das Fest beginnt und wann es endet, und formelle Einladungen enden stets präzise zum angegebenen Zeitpunkt: Geishas werden nach Stunden bezahlt, und Überziehen kommt extrem teuer. Besonders beliebte Geishas blieben unter Umständen nicht den ganzen Abend, sondern zogen von einer Party zur nächsten. Sobald das Fest vorbei war, wurde es für jeden gemütlich. Vielleicht führte ein Gast eine Maiko oder eine Geisha noch zum Essen aus oder in eine Karaoke-Bar, vielleicht traf er auch noch eine Privatvereinbarung für die Nacht, doch wie entspannt und gemütlich der Abend auch wurde, die Uhr lief unbarmherzig weiter.
Bei solchen Gelegenheiten tauchte etwas so Profanes wie eine Rechnung natürlich nie auf, auch wechselte kein Geld von einer Hand in die andere - ausser wenn es sich um Trinkgeld für eine Maiko oder Geisha handelte. Am Ende des Abends dankte der Kunde der Geisha für ihre Gastfreundschaft, sie dankte für seine Gunst, und er ging. Von Zeit zu Zeit traf bei der Buchhaltungsabteilung seiner Firma diskret eine Rechnung des Teehauses über die Leistungen der letzten paar Monate ein. Meist bekam er sie vermutlich nicht einmal zu sehen. Falls doch, so käme er nicht im Traum darauf, sie nachzuprüfen, und schon gar nicht - allein der Gedanke wäre ein Vergehen -, eine Quittung zu verlangen.
Bis vor wenigen Jahren hatten sich die Geishas ihren Kopf nicht über so unangenehme Dinge wie Geld zerbrechen müssen, denn so gut wie alle hatten einen danna, der für sie sorgte. Wie die junge Herrin des Ichiriki gesagt hatte: Trinkgeld von den Gästen, Dienste auf Partys, das Führen eines Teehauses, all das war nur ein Zubrot gewesen. Den wirklichen finanziellen Rückhalt hatte ihnen der danna geboten. Die älteren Geishas hatten selbstverständlich durchweg einen danna gehabt. Liebe hatte damit nichts zu tun. Es war ein rein pragmatisches Arrangement.
In jenen Tagen war ein danna fast so etwas wie ein Ehemann, nur dass er natürlich bereits eine Frau hatte. Die Geisha war seine Konkubine, seine Ehefrau Nummer zwei, oder vielleicht, wenn er sehr wohlhabend war, auch Nummer drei oder vier.
Das Patronats- oder danna-System war - und ist in gewissem Sinne immer noch - exemplarisch für die Welt der Blumen und Weiden. Die erste Voraussetzung war ein Mann, der eine beträchtliche Menge Geld übrig hat, nachdem er all seine eigenen Lebenskosten und Zinsen gezahlt, die Bedürfnisse seiner Familie und der ihm abhängigen Verwandten befriedigt, Schulgebühren entrichtet, Urlaubsaufenthalte finanziert, seine Rentenversicherung bezahlt und seine regelmässigen Investementsverpflichtungen beglichen hat. Ein solcher Mann befand sich zumeist auf dem Höhepunkt seiner Karriere und war damit höchstwahrscheinlich eher älter. In der Regel hatte er ein eigenes Geschäft, statt nach dem Gutdünken der Aktionäre Gehalte zu beziehen, und konnte mit seinem Geld verfahren, wie es ihm beliebte. Ein Geschäftsmann schätzte, dass es etwa 176'000 bis 265'000 Euro im Jahr kosten müsste, eine Geisha zu unterhalten.
Das korrekte Prozedere bestand darin, die Besitzerin des Teehauses anzusprechen, in dem man seit langem als verlässlicher, vertrauenswürdiger Gast verkehrte, und sein Interesse an einer bestimmten Geisha zu bekunden. Die Besitzerin besprach das dann mit der Geisha und deren Hausmutter. Waren sich alle drei einig, vereinbarten die "Mütter" die praktischen Einzelheiten mit dem Patron und einigten sich mit ihm auf die finanzielle Unterstützung, die er bereit war zu bezahlen.
Normalerweise bezahlte der danna einen monatlichen Unterhalt, der Miete und Lebenskosten der Geisha deckte, und zusätzlich kaufte er ihr Kimonos und Obis. Er übernahm alle Ausbildungskosten für ihren Unterricht im Tanzen, Shamisen-Spiel und Singen. Wenn sie bei einer öffentlichen Veranstaltung auftrat, kam er für die beträchtlichen Kosten auf. Dafür bekam er den Ehrenplatz und eine Hand voll Freikarten, die er an einflussreiche Freunde und Kollegen verteilen konnte. Verpflichtete er sie, für ihn die Unterhaltung bei einem Bankett zu übernehmen, hatte er zwar Vorrang vor allen anderen Gästen, musste aber trotzdem den üblichen Stundensatz für ihre Dienste bezahlen. Sie war ihm auch zu Diensten, wenn es um seine sexuellen Bedürfnisse ging, wobei allerdings in Anbetracht dessen, dass er wesentlich älter war, nicht von vornherein davon auszugehen war, dass er von seinem Recht auch Gebrauch machte.
Was die Frage betrifft, ob Geishas oder Maikos gegen Geld mit ihren Kunden schlafen, so erklärte eine Maiko sehr bestimmt: "Geishas tun das nicht. Ein danna und ein Freier sind völlig verschieden. Der danna ist wie ein Ehemann. Mit ihm hast du eine geregelte Beziehung."
Maikos lebten in einem Geisha-Haus unter den wachsamen Augen einer gestrengen Okasan. Sie hatten keine Gelegenheit für diese Art von freiberuflicher Betätigung. Ausserdem waren sie ohnehin derart beschäftigt mit Arbeit und Unterricht, dass nicht einmal Zeit für einen Freund blieb.
Männer, die Mittel und Musse besassen, danna zu sein, waren häufig hoch gebildet und hatten ein grosses Interesse an den traditionellen Künsten, die von Geishas praktiziert werden. Sie investierten eine beträchtliche Menge an Zeit und Geld in ihre Geisha, bildeten sie mit sanfter Fürsorge weiter, damit sie das Ideal einer kultivierten, talentierten Frau erfüllte. Im erhabensten Falle hatte das Ganze viel weniger mit Lolita und viel mehr mit Pygmalion zu tun, der danna als eine Art Professor Higgins, der sich seine Eliza Doolittle aussucht und sie einer Pensionatserziehung unterzieht, bis er die vollkommene Frau geschaffen hat, und all das aus keinem anderen Motiv als dem, sie heranwachsen und sich entwickeln zu sehen.
Es gibt einen ganz einfach Grund dafür, dass die Geisha-Welt so gefährdet ist. Die Professor-Higgins-Generation, die es als Zeichen ihres Erfolges und als erstrebenswertes Ideal ansah, danna zu werden, stirbt allmählich aus. Zunächst einmal, weil niemand mehr das Geld dafür hat. Im modernen Japan gibt es nur noch wenige Unternehmen in Familienbesitz. Die meisten Spitzenverdiener sind Angestellte grosser Unternehmen und können nicht einfach ein paar Millionen Yen vom Firmenkapital abzweigen, um sie für eine Geisha auszugeben. Hinzu kommt, dass sich im Augenblick die Männer der Baby-Boom-Generation gerade zu den grossen alten Herren der Gesellschaft entwickeln. Sie aber sind moderne Japaner um die fünfzig. Aufgewachsen in einer Welt, in der die Leute ins Ballett oder in die Oper gehen und Jazz oder Techno hören; statt dem klagenden Geklimper des Shamisen zu lauschen, verbringen sie mehr Zeit in französischen Restaurants und Bars als in Teehäusern. Viele von ihnen haben noch nie eine Geisha gesehen. Statt als Objekt der Begierde sehen sie sie als prächtige Fossilien oder kulturelle Dinosaurier, falls sie sie überhaupt zur Kenntnis nehmen.
Dennoch erzählen Teehausmütter, dass immer noch ein Gutteil der Geishas von einem danna unterstützt wird, eine von fünf in etwa. Doch keiner würde dazu stehen. Es ist eine zu sensible Angelegenheit. Geishas wissen nur zu gut, wie ihr Image ausserhalb der engen Grenzen ihrer kleinen Welt beschaffen ist. Eine weithin bekannte Geisha erzählte in einem Ton, der keinerlei Widerspruch gestattete, dass Maikos in der Vergangenheit einen enormen Schuldenberg abzuzahlen hatten und dies der Grund dafür war, dass sie einen danna brauchten. Heute gibt es keine Schulden mehr - dafür hat das Gesetz von 1958 gesorgt -, also besteht auch die Notwendigkeit für einen Patron nicht mehr.
Das stimmt nicht ganz. Eine Welt erstehen zu lassen, in der Männer ihre Träume ausleben können, ist kein billiges Unterfangen. Um ihre Rolle bis ins Letzte zu spielen, muss eine Geisha ein wandelndes Kunstwerk sein, prächtig gekleidet, Perücke, Make-up und Kimono von ausgesuchter Qualität. Doch bereits für den schlichtesten Kimono kann der Preis bei 1800 Euro liegen. Ein durchschnittlicher Kimono kostet 3100 bis 4400 Euro. Und er muss mit einem Obi von gleichem Wert getragen werden. Ausserdem ist ein einzelner Kimono alles andere als ausreichend. Teehausgäste sind Stammkunden, die immer wieder kommen, und es wäre sicherlich nicht ratsam, sich zu häufig im selben Kimono sehen zu lassen.
Alle Geishas lieben Kimonos und sammeln sie mit Passion. Wie es das berühmte japanische Sprichwort sagt: Ein Einwohner aus Osaka würde sich für eine exquisite Mahlzeit ruinieren, für einen Kyotoer aber ist feine Seide das Nonplusultra. Nichts davon ist ein Problem für eine Maiko, die in einem Geisha-Haus lebt, wo ihr die Mutter jeden Abend den Kimono zurechtlegt. Doch für eine frisch gebackene Geisha, die sich auf eigene Rechnung niederlässt, können sich die Anfangsinvestitionen leicht auf bis zu 176'000 Euro belaufen. Eine Geisha braucht drei Kimonos pro Monat - einen zum Tragen, einen in der Reinigung und einen zur Sicherheit, falls ihr ein Gast seinen Drink auf die kostbare Seide schüttet. Und in jedem Monat braucht sie andere Kimonos. Alles in allem kommt das auf ungefähr 26'500 Euro jährlich allein für Kimonos.
Dann ist das noch der Unterricht, der um die 900 Euro monatlich verschlingt, sowie die exorbitanten Kosten für die Zeremonien, mit denen die verschiedenen Stufen im Leben einer Geisha begangen werden - das Debüt und der Kragenwechsel, mit dem die Geisha zur vollwertigen Geisha graduiert wird. Beide kosten sehr viel Geld: für den angemessenen Kimono mit passendem Fächer, Taschen und anderem Beiwerk, Trinkgelder für den Friseur und andere Helfer, Geschenke für die Mitglieder der Gemeinschaft.
Auch ist es jedes Mal enorm kostspielig, wenn eine Geisha an einer der grossen öffentlichen Tanzdarbietungen wie den Kirschblütentänzen teilnimmt. Statt wie eine professionelle Tänzerin dafür bezahlt zu werden, muss vielmehr sie dafür bezahlen, dass ihr die Ehre zukommt, auftreten zu dürfen: für ihre Kostüme und ihre Ausrüstung, und jede Menge Trinkgelder für alle Helfer und Helfershelfer, sowie Geschenke für ihre Lehrer.
Die Kunst, einen Kimono auszuwählen und zu tragen, ist für eine Geisha ein ebenso wichtiger Teil ihrer Ausbildung wie das Erlernen der traditionellen Tänzer oder Shamisen-Spiels. Der Kimono ist eine eigene Kunstform, so beziehungsreich und komplex wie eine Teezeremonie, das Stecken von Blumen oder das Anfertigen von Tuschezeichnungen. Kimonos werden aus den feinsten, luxuriösesten Seiden gewoben und mit ausgesuchten Mustern bedruckt, die häufig ungeheuer komplex sind. Landschaften mit Palästen, Brücken, Flüssen, Bäumen und Vögeln entfalten sich in üppigen Details und Edelsteinfarben auf dem Rock eines Kimonos.
In den traditionellen Künsten Japans geht es dem Künstler nicht darum, sich selbst auszudrücken, sondern darum, die richtige Form zu erlernen, kata, die Art und Weise, wie man Dinge tut. Das Ziel ist Perfektion, die vollkommene Wiedergabe der Tradition - der richtige Kimono, in der richtigen Art und Weise, Ort, Jahreszeit und Anlass entsprechend, getragen. Eine Geisha ist eine Künstlerin, die sich, den Regeln der Tradition gehorchend, selbst in ein perfektes Kunstwerk verwandelt.
Jeder Aspekt am traditionellen japanischen Leben reflektiert die Jahreszeit, angefangen von den Blumen, die in einer Vase arrangiert wurden, bis hin zu der Tuschezeichnung an der Wand und zu den Worten, die man verwendet, wenn man ein Gedicht verfasst. Wenn Sie im Frühling ein Teehaus, ein Geisha-Haus oder auch ein privates Domizil besuchen, werden Sie einen Zweig mit Frühlingsblüten in einer Weidenvase vorfinden, an der Wand eine Tuschezeichnung, vielleicht ein knospender Bambus. Im Winter sind es vielleicht Pflaumenblüten, kunstvoll arrangiert in einem Bambusgefäss. Jedes Haiku-Gedicht enthält Worte, die auf die Jahreszeit verweisen.
Genauso wählt eine Geisha ihren Kimono der Jahreszeit entsprechend. In den kalten Monaten - von den Taifunen im September an, den ganzen schneereichen Winter hindurch, bis Ende April die Kirschblüten fallen - trägt sie einen zweischichtigen awase-Kimono aus dicker, warm abgefütterte Seide. Im Mai und Juni trägt sie leichtere, einschichtige Kimonos, und in den schwülen Tagen von Juli und August wechselt sie zu ro, einer Seide, die so dünn ist, dass man fast durch sie hindurch sehen kann.
Im alten Japan nährte sich Sexappeal ausschliesslich aus dem Geheimnisvollen. Weit davon entfernt, wie ein Hollywood-Star Busen, Bauch oder Beine möglichst unverhüllt zur Schau zu stellen, waren der Inbegriff aller Weiblichkeit die tayu, Kurtisanen, die wie ein Weihnachtsgeschenk Schicht um Schicht in kostbarste Stoffe gehüllt waren, bei denen nur die winzigen unbekleideten Füsse an das schwache Fleisch der Frau darin erinnerten. Für japanische Augen besteht ein ungeheurer Unterschied in der Art und Weise, wie Geishas und Ehefrauen - die beiden Säulen japanischer Weiblichkeit - ihren Kimono tragen. Die Geisha gilt als unfassbar sexy, aber es ist eine subtile Form der Erotik, sie besteht in Andeutungen und Anspielungen.
Ein Zeichen dafür, dass noch immer Bedarf an Geishas besteht, ist die zunehmende Zahl an falschen Geishas; eine Entwicklung, die die Geishas resigniert hinnehmen. In Shimbashi gibt es natürlich keine unechten Geishas, dafür hat es einen viel zu guten Ruf. Aber in Asakusa, im Osten der Stadt, dort wo zu Zeiten des alten Edo die Städter lebten, gab es falsche Geishas, die vor normalen Leuten an Orten auftraten, an denen sich eine echte Geisha nie blicken lassen würde.
Man nennt sie furisode-san, "ehrenwerte schwingende Ärmel", furisode heissen die aufwendigen Kimonos mit den langen schwingenden Ärmeln, wie sie die Maikos und andere junge Frauen tragen. Die furisode-san sind die Geishas des armen Mannes.
Diese jungen Frauen unterscheiden sich von Geishas wirklich in vielem. Sie sind fest angestellte Kräfte mit einem Gehalt von umgerechnet 2200 Euro monatlich, arbeiten fünf Tage die Woche und müssen sich aus dem Geschäft zurückziehen, wenn sie das Alter von 25 Jahren erreicht haben. Die Leute wollen, dass Geishas jung und hübsch sind; einer der problematischsten Aspekte an echten Geishas ist deren Alter.
Ihre Ausbildung in Tanz und Benimm dauert drei Monate. Statt zu klassischer japanischer Musik, tanzen sie zu Tonbandaufnahmen von populären Musikstücken. Anders als Geishas kann man furisode-san überallhin zur Unterhaltung verpflichten, sogar in die einfachsten Kneipen - in ein Nudelrestaurant ebenso wie in eine Shushi-Bar oder ein Aalrestaurant -, und sie pflegen keine Politik des ichigen-san ("keine Neulinge"), sie arbeiten für jeden, der sie bezahlt.
Den furisode zuzuschauen war im Grunde die Bestätigung all dessen, was die Geishas gesagt hatten. Klassischer Geisha-Tanz zeugte von einem über lange Zeit erworbenen Geschmack, er verlangte ein geschultes Auge, auch der zugehörige Gesang und die Musik erschliessen sich nicht so leicht. In der Vergangenheit wurden die Künste aus der Welt der Blumen und Weiden nicht als so abgehoben betrachtet wie heute. Mögen die Künste der Geishas auch noch so esoterisch wirken, sie waren einst die vertraute Musik- und Tanzform ihrer Zeit. Hinzu kam, dass es früher wesentlich mehr Geishas gegeben hat, genügend, um einen sehr viel breiteren Ausschnitt aus der Gesellschaft zu unterhalten und zu bemuttern beziehungsweise ihnen Geliebte zu sein.
Die furisode-san sind modern und erschwinglich wie die Geishas der Vergangenheit. Vielleicht wecken sie neues Interesse für die Kultur der Kimonos und der klassischen Künste, auch wenn sie nicht so puristisch daherkommen, wie es die Geishas gern hätten. Vielleicht vergrössern sie sogar den Markt für Geishas. Leider waren diese jungen Frauen an ihrer "Kunst" nicht übermässig interessiert, ihr Training war etwas, das sie so schnell wie möglich hinter sich bringen wollten. In Wirklichkeit sind sie eher Hostessen in historischen Kostümen.
Kyotos gei-ko und Tokyoter Geishas mögen die Aristokratinnen der Welt der Blumen und Weiden sein. Aber mit ihnen ist die Geschichte nicht zu Ende. In der Vergangenheit hat es in jeder Kleinstadt und jedem Bezirk einer Grossstadt Geisha-Viertel gegeben, sie deckten das ganze Spektrum ab, von erlesen bis leicht verrucht. In den meisten Städten gibt es noch immer eine kleine Gemeinschaft. Die Zahlen mögen im Rückgang begriffen sein, die Blumenstädte im Welken, aber sie sind noch nicht ausgestorben.
Doch es gibt noch eine andere Art von Geishas, die eine ganz eigene Gruppe darstellen - die Geishas in den Erholungsorten mit heissen Quellen (onsen), die onsen-geisha.
Trotz ihres weithin verbreiteten Rufs als unermüdliche Workaholics sind die Japaner Genussmenschen ersten Ranges. Da ihnen jedwede puristische Ethik abgeht, haben sie nicht die geringsten Bedenken, hemmungslos jedem Verlangen nachzugeben. Zu den grössten Vorlieben gehört es, die täglichen Sorgen in viel heissem Wasser zu ertränken. Als ständig erdbebengefährdetes Land ist Japan reich an natürlichen heissen Quellen, Orten, an denen intensiv nach Schwefel oder anderen heilenden Mineralien riechendes Wasser aus der Erde sprudelt.
Die Badenden lassen die eintönige Welt der Arbeit hinter sich und begeben sich in ein Paralleluniversum aus Fantasie, Spass und Spiel, das der Welt der Blumen und Weiden nicht allzu fern liegt.
Ein solcher Ort ist natürlich für Geishas wie geschaffen. Die Hauptkunden in den Kurorten sind Gruppen von Männern, die eine Nacht oder ein verlängertes Wochenende damit verbringen, miteinander zu baden, zu essen und sich zu betrinken, in den gleichen yukata - "Badekleidung" - auszuspannen und gemeinsam in einem grossen Tatami-Zimmer zu schlafen. Eine Reise in eines der Bäder erfüllt dieselbe Funktion wie eine Teehausgesellschaft in Shimbashi. Es ist die ultimative gemeinschaftstiftende Erfahrung.
Unglücklicherweise haben die onsen-Geishas einen ziemlich schlechten Ruf. Allein das Wort reicht, um ein Kichern auszulösen. Angeblich sind sie keine talentierten Künstlerinnen, sondern gute Unterhalterinnen mit anderen, eher zweifelhaften Fertigkeiten. Um nicht zu sehr um den heissen Brei herumzureden: onsen-Geisha ist praktisch gleichbedeutend mit "Prostituierte". Die hochrangigen Geishas der Grossstädte missbilligen zutiefst, mit ihnen in einen Topf geworden zu werden - so sehr, dass viele von ihnen sich lieber gei-ko nennen als Geisha. Im Zusammenhang mit den onsen-Geishas hat das Wort Geisha eine beträchtliche Abwertung erfahren - ausser natürlich bei den Leuten aus dem Westen und ihren lüsternen Vorstellungen von "Geisha-Girls".
Jeder in der Geisha-Welt macht sich Sorgen um die Zukunft. Das Problem hat vor allem mit der wachsenden Kluft zwischen den Geishas und der übrigen Gesellschaft zu tun. Die Geishas selbst verändern sich nicht. Sie sind in Zeitlosigkeit gefangen. Aber Japan hat sich enorm verändert und verändert sich immer noch in Schwindel erregendem Tempo. Es ist Heimat der Pokémons, von Sony und Nintendo. Ein Land, in dem Frauen um ihre Gleichberechtigung in Politik und Wirtschaft kämpfen, in dem junge Frauen sich gegen eine Heirat entscheiden, weil sie nicht den Rest ihres Lebens damit zubringen wollen, einen Mann zu bemuttern, und in dem sich ältere Frauen scheiden lassen, wenn ihre Ehemänner sich zur Ruhe setzen. Das Land ertrinkt in Hochhäusern, Neonreklamen und Verkehr.
Geishas scheinen sich völlig überlebt zu haben.
Viele Leute haben erzählt, dass Geishas all das verkörpern, was Japan japanisch macht. Auf der Höhe ihrer Kultur lebten Geishas ein Leben, das allein der Schönheit gewidmet war. Sie waren menschliche Kunstwerke; in einer aggressiv modernen Gesellschaft wie Japan ist das eine bizarre, anachronistische Vorstellung. Wenn sie von der Bildfläche verschwinden, wird diese ganze kostbare Welt - ein Universum, in jedem Detail, vom Ablegen des Fächers bei einer Teezeremonie bis zum Verlauf der Schmetterlingsflügel gleichen Augenbrauen, mit liebender Sorgfalt erlernt und vervollkommnet wurde - mit ihnen aussterben. Es gibt keinen anderen Ort, an dem diese Ästhetik überleben könnte.
Wie eine Shamisen-Spielerin, die ihr Leben am Rande der Geisha-Welt zugebracht hat feststellte: "Benehmen stirbt aus in Japan. Der einzige Ort, an dem die alten Gepflogenheiten des Umgangs noch überleben, ist die Welt der Blumen und Weiden. Das okiya-System - die Erziehung von Maikos in Geisha-Häusern unter den strengen Augen der Mütter - erhält gutes Benehmen, weil es so streng ist."
Wenn es keine Geishas mehr gäbe, wäre dies das Ende dessen, was Japan so einzigartig macht, das Ende traditioneller japanischer Kultur...